Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
ihr Licht nicht zu sehen war. Nicht für jemand, der die Gasse entlang kam und einen Blick herüberwarf. Hinter der Laterne lag etwas nah bei dem Steinhaufen. Ein Bündel? Ein Sack?
„Das Buch!“
„Wo sind mein Weib und meine Tochter?“ Philipp zwang seiner Stimme einen gebieterischen Ton auf. „Ich werde es Euch nicht geben, wenn Ihr mir nicht …“
Sein Gegenüber schlug lediglich den Umhang zurück und deutete auf sein Schwert. Mit der freien Hand forderte er wortlos das Buch. Philipp verstummte, zog es unter dem Umhang hervor und reichte es ihm.
„Du begreifst schnell, Eichhorn“, sagte der Fremde, während er das Buch entgegennahm. „Du machst besser keine Dummheiten, während ich einen Blick hineinwerfe.“ Er hockte sich neben der Laterne in den Schnee. Zog die Lederhandschuhe aus. Schlug das Buch auf und hielt es schräg an das Licht. Eine Urkunde fiel heraus, er hob sie auf, schüttelte sie, betrachtete sie. Legte sie zurück.
Philipp schmeckte kalte Schneeluft auf den Lippen. Wonach suchte der Verhasste? Und warum? Mit einer Seelenruhe, wie es schien, blätterte er in dem Kopialbuch, ging Seite für Seite sorgfältig im blassen Lichtschein durch.
„Setz dich“, forderte er mit einem Mal zischend und ohne aufzusehen.
„Oder was? Metzelt Ihr mich sonst nieder? Habt Ihr das auch mit meinem Weib getan? Wo ist sie? Was habt Ihr ihr angetan?“
„Du bist besser leise und setzt dich.“
Zögernd ließ Philipp sich im Schnee nieder. Sein Herz raste, während er zusah, wie der andere Seite für Seite mit dem Finger entlangfuhr. Schließlich nickte er unmerklich, klappte das Buch zu. Sah unter der Kapuze zu ihm her.
„Du musst nicht noch einmal zurück.“
Anschreien hätte er diesen Sauhund mögen, dass er dies mit Sicherheit auch nicht getan hätte! Aber er musste seine Erregung und seine Verzweiflung hinunterschlucken, zitternd und fast toll vor Wut, denn er wusste, er
hätte
es getan.
Er neigte den Kopf. Rieb sich die Augen. Hedwig. Juli.
„Ich werde das Buch mitnehmen“, hörte er den anderen raunen. „Aber du hast sicher Verständnis dafür, dass es wieder in die Kanzlei zurückmuss. Und zwar so, wie es herauskam: ohne Aufsehen zu erregen. Das wird dir nicht sonderlich schwerfallen. Dieser Tage ist es umtriebig in der Kanzlei.“
Philipp begriff einmal mehr, dass der jetzige Zeitpunkt absichtlich gewählt worden war. Die Übersiedlung des Hofstaats hielt die Amtleute auf Trab. Er hörte ein Geräusch und sah auf. Der Fremde zog das Bündel zu sich, das hinter ihm gelegen hatte, es war ein Ledersack. Er zurrte ihn an den Schnüren auf und nahm etwas heraus, das in Lappen gehüllt war. Es war ein kleines tönernes Gefäß mit einem Deckel, er stellte es neben sich in den Schnee.
Was hatte er vor? Philipp war auf der Hut. „Wo ist mein Weib?“, fragte er und ließ ihn nicht aus den Augen.
„Dazu kommen wir jetzt.“ Der Mann packte das Buch in den Sack. „Eselsweg. Oberhalb des ‚Blauen Huts’, die Scharte in der Stadtmauer.“ Unter der Kapuze drehte er Philipp den Kopf zu.
Zum Zeichen, dass er verstand, nickte Philipp unmerklich.
„Übermorgen, wenn dieser Scheißungar kommt, drängt sich sämtliches Volk in der Stadt. Tischzeit in der Kanzlei ist von zehn bis eins. Du kommst um zwölf dorthin …“
Philipp sprang auf.
„Übermorgen?!“
, stieß er hervor.
Ein schwarzer Schatten zischte auf ihn zu, der Faustschlag ins Gesicht ließ Philipp rückwärts taumeln. Er hob die Arme in Abwehr, ein Schlag in den Magen. Er japste nach Luft, krümmte sich, sackte zusammen. Fiel auf die Knie, schlang die Arme um die Leibesmitte. Hörte sich keuchen. Ein Schmerz wie tausend eiserne Nadeln, als sein Schopf gepackt wurde, der Kerl ihn an den Haaren mit sich schleifte, sodass er auf Knien hinter ihm herrutschen musste, mit den Armen rudernd in grotesken Verrenkungen. Mit einem Ruck ließ er ihn los, und Philipp schlug mit dem Gesicht in den Schnee.
Ein gebieterisches Zischen dicht über ihm.
„Übermorgen
Buchübergabe am Eselsweg. Du bringst es zurück in die Kanzlei.
Danach
Wiedersehen mit deinem Weib in der Jakober Vorstadt. Ich sag dir noch wo.“
Philipp keuchte. Schnee, kalt wie eine Maske aus Eis, schnitt ihm ins Gesicht. Er drückte sich auf den Unterarmen hoch, hob den Kopf an.
Wieder packte der andere ihn an den Haaren, zog den Kopf daran in die Höhe, dass er vor Schmerz aufstöhnte. Dicht an seinem Ohr die verhasste Stimme. „Keinen Knecht, keine Büttel. Du
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