Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Ist etwas geschehen? Juli ist doch nicht krank?“ Kilians Miene, die zunächst ein wenig ungehalten gewirkt hatte, drückte nun neugierige Anteilnahme aus.
Philipp schüttelte den Kopf. „Nein. Aber Hedwigs Mutter. Hedwig brach gestern Abend nach Reilingen auf.“
„Wie das? Du sagtest doch, sie sei bereits in der Schenke.“
Verflucht! Wie sollte er sich da herauswinden? Gott, steh mir bei, auch wenn es beim Lügen ist.
„Und du ließest sie allein gehen?“, setzte Kilian ungläubig nach.
„Nein, nein.“ Philipp suchte nach einer Erklärung. Und wunderte sich fast nicht mehr, wie leicht sie ihm auch diesmal über die Lippen kam. „Nach meinem Amtsgang eilte ich noch einmal nach Hause, weiß gar nicht mehr warum. Hedwig hat dort auf mich gewartet, zusammen mit dem Boten, den ihr Vater sandte. Der begleitete sie.“
„Und du?“
„Was meinst du?“ War Kilian misstrauisch? Philipp wagte nicht, ihm offen ins Gesicht zu sehen. Wie er sich für seine Lügerei schämte.
„Hättest doch noch ins ‚Schwert‘ kommen können.“
Philipp machte eine unbestimmte Geste. „Ich ging bis zum Rabenstein mit. Auf dem Rückweg blieb ich am Speyerer Tor bei den Wächtern hängen. Denen hatte wer zwei Kannen Roten ausgegeben.“ Er zuckte die Schultern.
„Ah“, machte Kilian.
Nahm er ihm das krumm? Er konnte es nicht einschätzen. Gott, Kilian, wenn du wüsstest …
„Was hat ihre Mutter?“
Wieder zuckte Philipp die Schultern. „Etwas mit Fieber, man weiß es nicht genau.“
Verständnisvoll nickte Kilian. Plötzlich kniff er die Augen zusammen, sein Gesicht kam näher. „Herrje, was ist mit deiner Backe?“
Er würde ständig darauf angesprochen werden, er hatte sich bereits etwas einfallen lassen. „Ich hab mich gestoßen“, winkte er ab.
Kilian setzte ein schiefes Grinsen auf. „Der Rote schmeckte wohl. Und die Straßen sind rutschig.“ Er hieb ihm auf die Schulter. „War jedenfalls lustig, kannst dir ja denken. Conradt spielte den Zink, Ochsenkuhn die Sackpfeife, ein Flötist noch dazu – es ging heiter her. Ha, und zu später Stunde sang so ein schwarzer Vogel welsche Lieder.“
Als Philipp fragend schaute, ergänzte Kilian: „Der war gänzlich schwarz gewandet, wie ein Magister. Rabenschwarzes Haar dazu und Augen wie ein Muselmann, ansonsten bleich wie Milch. Sprach so gut wie nichts. Nach ’ner Kanne aber hob er an zu singen, keiner verstand sein Gekrähe, aber alle johlten mit.“ Kilian grinste.
„Da hab ich ja was verpasst“, sagte Philipp müde.
Kilian wurde ernst. „Hattest ja andere Sorgen. Was ist, willst du in der Mittagspause nicht zum Marstall kommen? Gut dreihundert Pferde sind schon da. Täglich werden es mehr. Sollen bis sechshundert werden für den Umzug nach Amberg.“ Er fasste Philipp am Arm. „Das wird dich ablenken.“
„Ich weiß nicht recht.“ Er fürchtete sich vor dem Zusammensein. Er würde weiterlügen müssen. Und andererseits hätte er sich Kilian nur zu gerne anvertraut.
„Denk drüber nach. Ich werde dort sein.“
Sie mussten einem Ochsenkarren Platz machen, der vom Jakober Tor heranrumpelte, drückten sich an die Hauswand. Kilian deutete die Gasse hinunter und sagte: „Lass uns das Stück zusammen gehen.“
Philipp nickte und trottete neben seinem Freund gen Marktplatz.
Später stand er in der Mauernische von Heiliggeist, stopfte den letzten Krümel Brezel in den Mund und schaute hinüber zum Belierschen Haus. Kaum dreißig Schritte bis zum Tor, sie erschienen ihm wie dreitausend.
Er hatte eigentlich keine Zeit mehr, lange zu überlegen. Heiliggeist schlug sechs, er musste in die Kanzlei. Und doch stand er hier und starrte auf die etwa vier Ruten breite Hausfassade, als könnten ihm Erkerbrüstung, Bogenfenster, Ornamente und Reliefs des neuen Gebäudes bei seinem Vorhaben irgendwie behilflich sein. Aber das konnten sie nicht. Er musste selbst entscheiden, ob er zum Hausherrn persönlich ginge oder ob er es dabei bewenden ließe, dem Knecht Bescheid zu geben. In Anbetracht der Zeit und weil es weniger unangenehm war, musste wohl Letzteres genügen. Doch noch waren die vertikal ausschwenkbaren Klappläden, die als Verkaufstische für die Tuche dienten, an den eingemauerten Eisenlaschen verriegelt und nicht heruntergelassen. Auch das Hofportal war noch geschlossen. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als zu pochen. Er schaute noch einmal an der Vorderseite des Hauses empor und erkannte im zweiten Obergeschoss einen blassen Lichtschein.
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