Das Buch des Vergessens
selbst war siebenundzwanzig.
Françoise-Thérèse Choiseul-Stainville, Prinzessin von Monaco (1767–1794)
In Haft genommen, hatte sie kaum noch etwas Persönliches bei sich, das sie hinterlassen konnte. Aber das wenige, das von ihr bleiben sollte, behandelte sie mit äußerster Hingabe. Der Gefängnisverwaltung meldete sie, sie sei schwanger. Françoise-Thérèse brauchte nur einen Tag Aufschub, um ihren Plan durchzuführen: Sie flocht ihr Haar und schnitt es mit einer Glasscherbe ab, deren sie sich hatte bemächtigen können. Danach schrieb sie einen kurzen Brief an Fouquier-Tinville, um ihm ans Herz zu legen, dafür zu sorgen, dass die Flechte wirklich zu ihren Töchtern gelangen würde. Sie gab zu, hinsichtlich ihrer Schwangerschaft gelogen zu haben: »Ich habe meinen Mund mit dieser Lüge nicht aus Furcht vor dem Tode beschmutzt, auch nicht, um ihm zu entgehen, sondern allein, um einen Tag zu gewinnen, damit ich mir selbst die Haare abschneiden kann, auf dass sie nicht in die Hände des Henkers geraten. Da es das einzige Vermächtnis ist, das ich meinen Kindern hinterlassen kann, soll es wenigstens unbefleckt sein.«
Anmerkung
Sie muss sich Sorgen gemacht haben, dass diese Lüge ihr Andenken belasten würde, denn in einem Brief an die Gouvernante der Kinder bat sie diese: »Sorgen Sie dafür, dass Louise erfährt, aus welchem Grund ich meinen Tod aufgeschoben habe, damit sie nicht glaubt, ich sei schwach geworden.«
Anmerkung
Schließlich schrieb sie ihren Töchtern einen Brief, dem sie den geflochtenen Zopf beilegen wollte. In dem Brief standen genaue Anweisungen für den Umgang mit dem hinterlassenen Haar.
Meine Kinder, hier habt Ihr mein Haar. Ich habe meinen Tod um einen Tag hinausgezögert, nicht etwa aus Furcht vor dem Tode, sondern weil ich Euch dieses traurige Andenken vermachen wollte. Ich wollte es nicht dem Henker überlassen und hatte kein anderes Mittel als dieses. So habe ich einen Tag länger in der schrecklichen Erwartung des Todes verbracht, doch Durchstreichungen bereue ich es nicht.
Ich wünsche, dass Ihr mein Haar in einem gläsernen Gefäß aufbewahrt und es mit schwarzem Kreppflor bedeckt, diesen aber nur drei- oder viermal im Jahr in eurem Zimmer abnehmt, um die Überreste Eurer unglücklichen Mutter vor Augen zu haben, die ihre Liebe für Euch mit ins Jenseits nimmt und die nur deshalb mit Bedauern aus dem Leben scheidet, weil sie Euch nicht mehr nützlich sein kann.
Ich empfehle Euch Eurem Großvater. Wenn Ihr ihn seht, sagt ihm, wie oft ich an ihn gedacht habe und wie sehr ich hoffe, dass er Euch Vater und Mutter ersetzen kann. Ihr aber, meine Kinder, pflegt ihn auf seine alten Tage und tröstet ihn in seinem Unglück.«
Anmerkung
Als Françoise-Thérèse heiratete, wurde sie in das Haus Grimaldi aufgenommen, das zu diesem Zeitpunkt schon seit fünf Jahrhunderten über Monaco herrschte. Sie muss Erfahrung mit der Verwaltung und der Konservierung dessen gehabt haben, was frühere Generationen an Memorabilien hinterlassen hatten. Daher das gläserne Gefäß und der Trauerschleier? Das Glas könnte dazu gedacht gewesen sein, den Geruch zu bewahren, und der Trauerschleier, um Verfärbung zu vermeiden, aber Geruch und Farbe wären sicherlich noch besser in einer Kassette zu konservieren gewesen. Hat sie nicht vielmehr versucht, für den Umgang mit dem Zopf eine Form zu finden, die die Lebendigkeit des Andenkens intakt hielt? Françoise-Thérèse scheint sich mit diesem nur einmal im Jahr zu lüftenden Schleier und der Anweisung, die Glasglocke nicht mehr als drei- oder viermal im Jahr ins Zimmer der Kinder zu stellen, nicht mit der Konservierung der Haare zu beschäftigen, sondern mit der Einrichtung des Andenkens. Was sie um jeden Preis vermeiden wollte, war die Abnutzung eines Andenkens, das ständig vorhanden ist und deswegen früher oder später aufhört, ein Andenken zu sein.
Die Prinzessin ließ ihr Leben in der Stadt, in der sich Proust rund ein Jahrhundert später fragen sollte, weshalb die Madeleines, die er probiert hatte, die alten Erinnerungen weckten, während er dieselben Madeleines oft beim Bäcker hatte liegen sehen, ohne dass sie sein Gedächtnis aktivierten. Proust überlegte, ob gerade die Wiederholung der visuellen Erfahrung den Madeleines ihre assoziative Wirkung genommen hätten: All diese verschiedenen Assoziationen hatten sich allmählich ausgelöscht, sodass, wie er schrieb, sich alles im Nichts aufgelöst hatte.
Anmerkung
Die strenge Regulierung des Umgangs
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