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Das Buch des Vergessens

Das Buch des Vergessens

Titel: Das Buch des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Rede.«
Anmerkung
    Letzteres, dass der Brief selbst zum Andenken bestimmt wird, ist so naheliegend, dass man es leicht übersieht, aber in einer ganzen Reihe von Abschiedsbriefen stehen Anweisungen zum Umgang mit dem Brief. Étienne-Pierre Gorneau hatte sich mit der Sorglosigkeit eines Zwanzigjährigen über die republikanischen Einstellungen ausgelassen und wurde nach anonymen Anzeigen verurteilt. Zum Schluss eines sehr langen Briefes an seinen Vater und die sonstigen Familienmitglieder schrieb er: »Ich nehme von ganzem Herzen von allen meinen Freunden und denen meiner Eltern Abschied und umarme sie zum letzten Mal. Ich wünsche, dass mein Vater diesen Brief seinen Nachkommen zur Aufbewahrung übergibt, damit sie meiner gedenken und sich daran erinnern, dass ich als Opfer meiner Gesinnung (…) auf dem Schafott gestorben bin.«
Anmerkung
Auch für Marquise De Charras war der Brief selbst das Einzige, was sie hinterlassen konnte. Ihrem Mann und den drei Kindern schrieb sie: »Solange ich lebe, wird mein Herz ganz Euch gehören. Ich stehe kurz vor dem letzten Augenblick. Vergesst mich nie. Ich wünsche, dass meine armen Kinder diese letzten Zeilen von mir für immer aufbewahren. Adieu, ich sende Euch meinen letzten Seufzer.«
Anmerkung
    Manchmal diente der Brief auch dazu, Kindern etwas sagen zu können, was sie jetzt noch nicht verstehen oder schnell wieder vergessen würden. Maulnoir, ein ehemaliger Kantonrichter, schrieb seiner Frau: »Sprich oft von mir, vor allem zu den Kleinsten, die sich ja kaum an mich erinnern können. Bewahre diesen Brief, um ihn ihnen vorzulesen und ihnen zu sagen, dass ich nichts inniger wünschte als ihr Glück und dass sie in Ermangelung eines Vermögens eine Erziehung erhalten, die ihnen im Leben weiterhilft.«
Anmerkung
Solche Passagen kommen in mehreren Briefen vor, das Schreiben sollte zehn, fünfzehn Jahre überbrücken, bis zu dem Moment, in dem die letzten Worte wirklich verstanden werden konnten.
»Meine Kinder, hier sind meine Haare«
    Ein Miniaturporträt, der Brief selbst – was konnte man sonst noch hinterlassen? Von Jeanne-Charlotte de Rutant war ein Brief sichergestellt worden, der von den täglichen Belastungen der adligenFamilie berichtete, der sie angehörte. Die scheinbar leere Rückseite des Briefes, geschrieben mit Tinte, die nur lesbar war, wenn man den Brief neben eine Kerzenflamme hielt, enthielt Mitteilungen über Emigranten, feindliche Truppen und ein geheimes Manifest. Die Dreiundzwanzigjährige wurde verhaftet und zum Tode verurteilt. Drei Stunden vor ihrer Exekution schrieb sie ihrem Bruder einen Abschiedsbrief. Das Einzige, was sie diesem Brief hinzufügen konnte, waren ihre Haare: »Ich hoffe, Du wirst mein von der Hand des Henkers nicht berührtes Haar erhalten. (…) Teilt Euch mein Haar, meine Lieben, und vergesst mich nicht, auch wenn das Andenken an mich schmerzlich ist, adieu!«
Anmerkung
Es waren nicht nur Frauen, die Haarlocken mitschickten. Philippe Rigaud, sechsunddreißig Jahre, verurteilt wegen der Lieferung von Uniformen minderer Qualität, fügte dem Kümmerlichen, das er mitschicken konnte, eine Haarlocke bei: »Ich schicke Dir, meine liebe Frau, das Einzige, was ich noch besitze und Dir in diesem Brief mitsenden kann, eine Strähne meines Haares. Bei ihrem Anblick wirst Du manchmal an denjenigen denken, der Dich geliebt hat.«
Anmerkung
Aber unter allen Verurteilten, die ihre Haare mitschickten, gab es niemanden, der dieses Legat mit so viel Sorgfalt ihren Angehörigen zukommen lassen wollte, wie die Prinzessin von Monaco.
    Françoise-Thérèse Choiseul-Stainville, von Geburt Französin, hatte mit fünfzehn Jahren Prinz Joseph aus dem Haus der Grimaldis geheiratet. Als Prinzessin von Monaco hatte sie anfänglich nichts mit französischen Angelegenheiten zu tun, aber das änderte sich, als das Fürstentum 1793 Frankreich einverleibt wurde.
    Von einem Tag auf den anderen wurde sie wieder zur französischen Staatsbürgerin. Um zu verhindern, dass sie unter das ›Emigrantengesetz‹ fallen würde, reiste sie in aller Eile nach Paris. Anfangs blieb sie auf freiem Fuß, aber nachdem sich ihr Mann Aufständigen angeschlossen hatte, fiel sie unter das ebenso plötzlich eingeführte ›Verdächtigengesetz‹, und es wurde ein Haftbefehl erlassen. Fouquier-Tinville ließ keine Gnade walten: Françoise-Thérèse wurde zum Tod durch die Guillotine verurteilt. Sie hatte zwei Töchter, die zehnjährige Honorine und die achtjährige Athenaïs Louise, sie

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