Ein Mann von Welt
TEIL EINS
Kassette 1, Seite a & b
MAYOR
Wenn man Liebe und Freundschaft und Familienbande mal beiseitelässt, ebenso Glück und Religion und Spiritualität, den Wunsch zur Verbesserung der Menschen, die Musik und die Kunst und Jagen und Fischen und Landwirtschaft, und die eigene Bedeutung, und öffentliche und private Verkehrsmittel von Bussen bis zu Fahrrädern, wenn man also all das beiseitelässt, ist es das Geld, das die Welt am Laufen hält. Sagt man jedenfalls. Wenn ich nicht vor meiner Zeit gehen müsste, Juan-George, wenn ich nicht gerade jetzt sterben würde, wenn ich bis zu einem reifen Alter leben und dann irgendwann langsam eingehen würde, statt im Kreiskrankenhaus Madera zusammengeflickt und in Gips gepackt den Exitus zu erwarten, wenn ich also alle Zeit der Welt hätte, wie man so schön sagt, dann würde ich auf dieser Kassette damit beginnen, dir von den Freuden des Fahrradfahrens zu erzählen oder vom geistigen Leben, aber da ich jede Minute sterben kann – erst gestern hat Dr. Singh selbst gesagt, dass ich Glück habe, überhaupt noch am Leben zu sein, ich war bewusstlos und habe es nicht mitgekriegt, aber Carmen, deine Mutter, hat es mir gesagt –, komme ich gleich zum sogenannten Wesentlichen.
Erstens, ignoriere verbreitete Ratschläge wie ein Narr und sein Geld sind schnell getrennt. Sich von Geld zu trennen ist ein Teil der Freude, es zu verdienen der andere, es macht keinen Spaß, daran festzuhalten, das lässt nur die Leben
digkeit verkümmern, besonders bei großen Summen, auch wenn die Welt dir was anderes rät, voll wie sie ist mit Menschen, die am liebsten Gipsfiguren aus uns machen würden. Zweitens habe ich noch keine Lehren aus meinem Leben gezogen, ich bin erst achtundzwanzig Jahre alt, wenn du mal so alt bist wie ich, wirst du merken, wie jung das ist. Und solltest du bis dahin ein Mann von Welt sein, ziehe ich den Hut vor dir, der Weg liegt nicht offen vor dir, und geradeaus führt er auch nicht. Alles was du wissen musst, ist irgendwo in meinen Erfahrungen enthalten, das ist meine Philosophie, aber ich fürchte, du musst selbst die Lehren daraus ziehen. Die Welt folgt einer merkwürdigen Logik, Juan-George, und ich möchte einige von ihren Verwicklungen veranschaulichen, so dass du auf den Schultern von Riesen stehen kannst und nicht, wie Paul Renfro immer gesagt hat, auf den Schultern von Ameisen.
In den ersten siebenundzwanzig Jahren meines Lebens passierte nichts. Ich bin jeden Tag mit dem Rad von unserem Fleckchen Wildnis in die Stadt gefahren, ich bin nach Madera gefahren und habe meine Freunde gefragt, ob sie Arbeit für mich hatten. Alle nannten mich Mayor, sogar Tony Adinolfi, der echte Bürgermeister, nannte mich Mayor. Dann kam mein sogenannter Fehler. An dem Tag arbeitete ich auf einer Baustelle in Madera, eigentlich war es eher ein Abriss, ich schaffte schubkarrenweise Gipskarton aus einem Haus, es ist seltsam, Wände aus dem Inneren eines Hauses zu entfernen. Irgendwann fiel mir auf, dass mein Fahrrad weg war, mein blauglitzerndes Drei-Gang-Schwinn mit den
ledernen Satteltaschen, eine erstklassige Maschine, die auf den Asphaltstraßen von Madera County ein sanftes Surren von sich gab, und jetzt war es weg. Das passierte öfter mal, das hat mich nie gestört, nur dieses Mal hatte es derjenige, der es sich genommen hatte, nicht pünktlich zum Feierabend zur Baustelle zurückgebracht, und ich musste mich zu Fuß auf den Weg nach Hause machen. Die Jungs von der Baustelle gingen in eine Kneipe, und ich vermeide Kneipen, wenn du eins achtundneunzig groß bist, wollen Betrunkene ständig mit dir streiten, oder sie versuchen, dir dein Fernglas wegzunehmen. Unser Fleckchen Wildnis lag ein paar Meilen außerhalb der Stadt, an einer Straße, die eigentlich nirgendwohin führte, da konnte man nicht gut trampen. Ich lief mit den Händen hinter dem Rücken gefaltet, man sollte immer mit den Händen hinter dem Rücken laufen, außer man trägt etwas. Leute, die beim Laufen mit den Armen schlenkern, sehen aus wie Affen, meine Philosophie.
Ich bemerkte ein paar Mücken, die im Zickzack über einem Wasserdurchlass hin und her flogen, ein Baum in der Nähe ließ ein wenig Sonnenlicht durch, das einen Lichtwürfel aus dem Schatten herausschnitt, den Mücken schien es zu gefallen, den für sich zu haben. Ich beobachtete die Mücken, als ein Fahrzeug auf der Straße auftauchte und mir entgegenkam, es war der Pickup von den Alvarez-Brüdern. Hector und Mike waren zwei meiner
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