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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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verfällt aber, sobald er in unseren Luftraum eintritt, in Schweigen, wahrscheinlich, weil er unsere veränderte Stimmung bemerkt. Gottfried legt uns beiden, Gerd und mir, einen Arm um die Schulter und führt uns langsam davon. Sein Kopf hängt auf der Brust, als hätte er etwas zu beichten, und dann, als uns nach einigen Schritten eine Windbö ins Haar fährt, sieht er in die Nacht hinauf und sagt leise: »Nach meiner Berechung, meine Herren, findet das Feuerwerk heute Abend über der Ostsee statt.«
    Meine Sinne ziehen sich zurück, bevor ich Gerds Erwiderung vernehme. Stattdessen schieße ich über den Wolken dahin und sehe die letzten Zentimeter einer Zündschnur brennen. Das und das Zischen des Luftstroms verhilft mir zu einer umfassenden Erkenntnis: Was ich hier vor mir sehe, sind die letzten Zentimeter der Unschuld, der letzte Zipfel einer Kindheit, die sich zu Tode brennt. Und es bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich detoniere, zerspringe wie eine Glasscheibe und ziehe in der nun folgenden klaren Trance auf einem blutgetränkten Flurteppich Bilanz. Dabei spüre ich eine neue Kraft: einen nahen Atem und das Gewicht eines Arms – nicht der Arm eines Arztes und nicht der eines reichen Mannes, nein, der Arm eines anderen Menschen, der starke Arm eines Freundes auf meiner Schulter, und darunter noch einer, und noch einer und noch einer, bis ich ein Faden in einem Netz aus Kameraden bin, ein Netz, das sich um die ganze Welt spannt, das sich über die Zeit vor mir und nach mir dehnt, ein Tuch, das gewirkt ist aus unverwüstlichen Fasern. Aus meinen Gefährten, in meiner Welt.
    Schließlich erhebe ich mich vom Teppich im Flur, ganz behutsam.
    Ich ziehe mir Scherben aus der Haut und werfe sie zu Boden.
    Daraufhin wachsen überall um mich herum auf diesem plötzlich unendlich langen Flurteppich neben dem Meer blutige Gestalten in die Höhe – kleine, unverzagte Gestalten in Winnie-Puuh-Schlafanzügen, Katzen-Schlafanzügen, Wal-Schlafanzügen, Teddybär-Schlafanzügen, die das Blut von sich wischen und in einen vor knalligen Farben berstenden Himmel hinauflächeln, glühende Asche in die Wolken speien und Zahnrädchen aus verbrauchter Frustration, Depression und Schock fallen lassen. Und wie ein Junge vom Mars, der eben erst gelandet ist, stehe ich da und blicke ehrfürchtig auf diese Menge junger Kameraden, bis ich eine Bewegung in ihren Reihen wahrnehme, und ein kleiner Junge sich von weit her kommend einen Weg bahnt. Er läuft barfuß, hat einen Cowboypistolen-Schlafanzug an, und die Sonne von Kapstadt hat sein Gesicht gebräunt:
    »Fotzen!« , schreit er ausgelassen herumhüpfend und singt die Wolken an. »Ihr gierigen Fotzen!«
    Ein Grinsen legt sich auf unsere Gesichter, und genau in dem Moment, als es kaum noch besser, mein Grinsen kaum noch breiter werden kann, schiebt sich aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit eine kleine Hand in meine und drückt sie fest, als wollte sie mich vorwärtsziehen zu meinem großen ersten Schultag:
    »Pff«, sagt sie. »Verbringst du deine Freitagabende immer so?«
    »So ungefähr«, sage ich nachdenklich. »Manchmal gehe ich auch einen trinken.«

LICHT AN
    Nach altem Tabak, Plastik und Billigseife riechend klappert der Lada Richtung Flughafen Tegel. Eingeklemmt zwischen Gottfried auf der einen und Berlin auf der anderen Seite, überfällt mich eine tief sitzende und eigentlich ganz angenehme Müdigkeit, vergleichbar mit etwa zehn Milligramm Valium.
    Ich lehne mich im Sitz zurück und sehe Gerd zu, wie er den Hals reckend und am Lenkrad zerrend durch eine mäßig betriebsame Hauptverkehrszeit manövriert. Er trägt eine wilde Mischung an Kleidungsstücken, ein Image-Karussell, das nie irgendwo Halt gemacht hat. Es ist trotzdem ein lässiges Karussell, und Gerds Bewegungen wirken freier, fließender und entspannter. Beinahe erfasst eine Urlaubsstimmung das Auto, sie setzt ein wie die ersten Noten eines Tanzes, obwohl nur zwei von uns auf Reisen gehen.
    »Bist du sicher, dass wir rechtzeitig zum Tatort zurück sind?«, grummelt Gottfried.
    »Na klar. Sonst halten wir auf dem Weg zurück bei Dieter und sehen ihn da – falls Dieters Fernseher funktioniert, man weiß ja nie.«
    »Oder wir gehen in eine Kneipe, da können wir ihn in Farbe sehen.«
    »Oder das, geht auch. Das Problem sind nur die Leute, die dazwischenquatschen.«
    Gerd sucht im Rückspiegel meinen Blick. »Hast du überhaupt schon mal einen Tatort gesehen? Ganz tolle deutsche Krimiserie, eine nationale

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