Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
Vom Netzwerk:
bringen? Während wir auf David warten?«
    Die Sache ist die , ich kann ihrem Gesicht die Macht ablesen, Leute anzurufen, die schneller da sind als David – und die Medikamente dabei haben. Whoosh. Der Einfachheit halber begnüge ich mich mit dem Wasser, dessen Kohlensäure lautstark um eine Zitronenscheibe herumsprudelt, und laufe niedergeschlagen durch den Korridor zum Raum der Stille. Der ist ein geistloses Vakuum mit Blick auf das Grundstück rund um das Herrenhaus – ein Ort wie aus dem Bilderbuch, um auf David zu warten . Es riecht nach Farbe und Feuchtigkeit. Der Raum ist leer, und ich setze mich auf ein eiterfarbenes Sofa, mit dem Gesicht zum Fenster, hinter dem Bäume ihre dürren Reiser vom Wind aufpeitschen lassen, einem mit toten Blättern verstopften, auf alles einprügelnden Wind.
    Ich hätte einfach gehen sollen. Mich an den Empfang zu wenden war ein Fehler.
    Auf einem Beistelltischchen steht ein Schachbrett, daneben liegen Zeitschriften über Entspannungs- und Atemtechniken. Das Licht einer Tischlampe spiegelt sich auf den Titelseiten. Einem Organismus, der Atemtipps braucht, überlege ich mir, sollte es erlaubt sein zu sterben. Und ich frage mich, ob das Licht sich genauso hübsch in einer Ausgabe Bacon Busters oder Fisting Wives brechen würde. Wir werden es nie herausfinden; und genau deswegen verursachen diese Rehakliniken auf dem Land Unwohlsein. Weil ein Herrenhaus, in dem einst ausschweifend Walzer getanzt wurde, in dem die Luft schwer war von Parfümduft und widerhallte vom Gekläff geliebter Kinder und Hunde, und das heute ein Monument der Schande, der Herablassung und der Sojasprossen ist, entweder über eine Ausgabe Fisting Wives oder über ein im Gemüsegarten verscharrtes Leichenpaar verfügt.
    Aber niemals über beides zugleich.
    Ich schalte die Lampe aus und lasse mich von einem violetten Leuchten durchdringen. Das Schachbrett steht wartend da, ich begutachte die Figurenreihen. Bauern stehen im Angesicht des Todes in Reih und Glied, Pferde sind bereit zum Sprung, Türme wägen ihre Züge ab. Mit gebieterischem Schwung nehme ich die weiße Königin, pflüge durch beide Hälften des Spielfelds und schlage den schwarzen König zu Boden. Für den heutigen Abend braucht es schon eine Einstellung dieser Art. Zu was für einer Odyssee auch immer wir aufgebrochen sind – und ich merke, es ist eine Odyssee, wenn auch vielleicht eine kurze –, sie sollte mit derselben Missachtung des Lebens und der Natur vollzogen werden, wie man sie uns hier entgegengebracht hat. Wir werden das hemmungslose, das schrankenlose Genießen suchen.
    Wenn wir abtreten, dann als Tiere. Als Kapitalisten!
    Ach, der Moment vor dem Tod ist ein jungfräulicher Kampfplatz. Nicht, dass ich der Erste wäre, der den Selbstmord entdeckt, auch Sie müssen sich schon mit der Idee getragen haben, müssen in gewissen dunklen Augenblicken den Deckel angehoben haben, ihn beschnüffelt, ihn abschätzig gemustert haben. Nicht, dass Sie ihn wie ich geplant haben, aber dennoch: Eine Ahnung davon, dass im Kombinationsspiel der Möglichkeiten, das um Sie herum abläuft, mindestens eines der Resultate Ihren Tod zur Folge hätte, müssen Sie gehabt haben. 4 Ich frage mich, ob unser Bewusstsein dafür, zu den Glücklichen zu gehören, davon abhängt, dass wir die Finger des Schicksals an unserem Abzug vorbeistreichen sehen, während bei anderen abgedrückt wird. Es wäre eine Erklärung dafür, warum Nachrichten ein so einträgliches Geschäft sind.
    Fest steht – bei mir wurde abgedrückt.
    Meine Gedanken schweifen zu Nelson Smuts. Was für eine Orgie wir feiern werden. Was für ein Bacchanal. Das letzte Mal, als ich von ihm gehört habe, war er gerade zurück aus Brüssel und arbeitete unten im Süden in der Küche von Privatleuten. Ist schon eine ganze Zeit her. Ein Jahr vielleicht. Ach, Smuts.
    Während ich noch derart nachsinne, geht die Tür zum Raum der Stille auf. Ein schmaler Mann schaut herein. Er trägt einen eng anliegenden Pulli und hat ein blasses, unförmiges, an einen Pferdefötus erinnerndes Gesicht. Er steht einfach nur da und sieht mich an.
    Nach einer ganzen Zeit deutet er auf meine Schuhe:
    »Das ist ja Leder.«
    Unschlüssig, worauf er hinauswill, erwidere ich seinen Blick, und als er keine weiteren Hinweise liefert, zeige ich mit dem Finger auf sein Oberteil und sage: »Das ist ja Wolle.«
    »Ja, aber das Lamm hat überlebt«, erwidert er.
    Ich schließe kurz die Augen und wende mich ab.
    Nach einem längeren

Weitere Kostenlose Bücher