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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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verlieren?«
    Ich warte ab, während ihm diese Kackwürste aus der Psyche glitschen. Wir erfahren soeben, wie sehr er die analen Tricks eines Polizisten schätzt. Nur Polizisten und achtjährige Mädchen nämlich steigen mit derart geistlosen Fragen in die Abwicklung ihrer Geschäfte ein: »Lassen Sie Ihren Wagen immer mitten auf der Straße stehen, Sir? Ich gehe davon aus, Sie würden das hier als korrektes Verhalten bezeichnen, Sir? Wie würden Sie es finden, Sir, wenn jemand Ihnen das antäte?« Und so weiter. Diese Formulierungen drücken einerseits eine angeborene Spießigkeit aus, sind aber gleichermaßen Werkzeuge, die Unterwerfung erzwingen sollen: Eine ehrliche Antwort nämlich würde Sie als Volltrottel dastehen lassen, für eine angemessen scharfe Replik dagegen kämen Sie ins Gefängnis.
    Ich habe David West überschätzt.
    Ich nehme mir eine Zigarette aus der Tasche.
    »Nicht hier drin, also wirklich.« Er senkt die Stimme: »Wir wollen doch keinen derart verhunzten Start haben. Sie durchleben gerade eine harte Phase, und das tut mir sehr leid. Sie haben Ihre Freundin und Ihren Job verloren. Sie haben alles verloren, was damit zusammenhängt. Sie haben …«
    »Das steht alles in der Akte, ja?«
    »Vergessen Sie nicht, Ihr Vater hat Sie angemeldet. Was ich sagen will, Gabriel: Das alles ist nicht leicht für Sie gewesen, und Sie haben mein vollstes Mitgefühl – aber Sie sind nicht auf sich allein gestellt. Sie müssen es sich nicht so schwer machen. Erweisen Sie mir einfach nur die Höflichkeit, setzen Sie sich einen Augenblick zu mir und beginnen Sie ein Gespräch. Wir können überall anfangen – zum Beispiel bei diesen manisch-depressiven Problemen, von denen hier die Rede ist.«
    »Das war früher.« Ich suche nach meinem Feuerzeug. »Jetzt ist alles wieder gut.«
    Er klappt den Ordner zu. »Tja, da habe ich so meine Bedenken – manische Depression pendelt ja nicht zwischen Depression und alles-wieder-gut. Sonst würde sie ja Alles-wieder-gut-Depression heißen. Meinen Sie nicht?«
    Ich zünde mir die Zigarette an.
    »Ich werde gleich sehr, sehr böse.«
    Ich nehme einen tiefen Zug und lasse meinen erhobenen Blick über die Kranzgesimse des Raums schweifen, über elegante Schlingpflanzen und hornförmige Blumen und Blätter, auf denen sich an einigen Stellen Wassertröpfchen gesammelt haben. Das alles ist in einem muffigen Beige gestrichen. Ich stelle es mir vergoldet vor, als Rahmen für ein aquamarinblaues Fresko aus Baumkronen und Himmel, wie beim Blick aus einem Grab nach oben.
    »Gabriel, Sie verstoßen gegen das Gesetz.«
    Dalí sondert ein Husten ab. Es ist nicht überzeugend. Sie möchte nach Krebs klingen, kommt aber wie eine Hausfrau rüber, die jemanden darauf aufmerksam machen will, dass ihm ein Popel an der Lippe klebt. Schweigend treibe ich die Restaurierung dieses demoralisierten Gebäudes voran, ich werfe italienischen Marmor auf die Böden und errichte im Eingangsbereich einen Frascati-Villa-Brunnen, überwachsen mit heiligem Lotos und Froschbiss.
    »Gabriel, Sie verletzen unsere Rechte und verstoßen gegen das Gesetz.«
    Was für eine Psychokloake dieser Ort ist. Wie verdorben und dumpfbackig. Nach einem gedankenvollen Zug an der Zigarette wende ich mich schließlich an David:
    »Wie können Sie es wagen, diesen Ort derart zu entweihen. Sie Fotze.«

3
    Fehler. Ich hätte einfach gehen sollen. Das schwindende Tageslicht taucht das Sofa im Raum der Stille in die Farbe einer entzündeten Wunde. Der Pfleger geht hinaus und lässt mich allein.
    Hinter sich verriegelt er die Tür.
    Die Frauen haben schon recht: Fotze war mal ein krasses Wort. Als ich es zum ersten Mal hörte, trug ich einen Winnie-Puuh-Schlafanzug. In dieser Nacht fing es an, mit allem bergab zu gehen. Nacht, was sage ich – ein Spätnachmittag war’s, den einem die Erwachsenen, geübt darin, die Zeit zu ihren Gunsten zu manipulieren, als Nacht verkauften. Gerade noch war ich den Flur entlanggehüpft, ganz kuschelweich und duftig nach meinem Bad, und sang wie ein Bekloppter. Ein plötzlicher Überschwang hatte mich überfallen, eines dieser kleinen Delirien, die in jungen Menschen aufsteigen können wie Blasen aus der Schneckenhausspirale des Wahnsinns: »Wo-ho«, sang ich, »take the money and run!« Was das bedeuten sollte, wusste ich nicht, mir gefiel einfach die Melodie. Und was für eine Bedeutung es genau in diesem Moment hatte, darauf wäre ich nie gekommen.
    Bevor ich mich versah, schleuderte mein Vater

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