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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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mich durch eine Glastür:
    »Fotze« , zischte er, »du kleine Fotze!«
    Was das bedeutete, wusste ich auch nicht, aber der Klang des Wortes war schneidend. Er passte gut zu dem Krachen und Klirren von meiner Duftigkeit im Glas. Danach lag ich blutig wie eine Suppenkelle auf dem Flurteppich, gespickt mit Splittern. Und ich weiß noch, dass ich dachte: Fotze hat genau den richtigen Sound für diese Aktion.
    Das dachte ich, während ich versuchte, wieder auf die Füße zu kommen.
    Aber in einem gewissen Sinn bin ich nie wieder auf die Füße gekommen.
    Dieser kleine Kerl liegt seit damals blutend da.
    Mein Freund Nelson Smuts war zum Übernachten bei mir. In einem Cowboy-Pistolen-Schlafanzug und mit einem frisch in Cape Town gebräunten Gesicht war er neben mir hergerannt. Nach dem Crash trat er vorsichtig durch die Tür, sammelte Glasscherben ein und legte sie mir feierlich auf die Brust. Ich schätze, genau da gehörten sie auch hin, zu den ganzen anderen Splittern. So etwas tut nur Smuts für einen.
    Die Glastür war ein Wendepunkt für mich. Um die Lektion sauber abzuschließen, und weil er die Schritte seiner damaligen Freundin hörte, stellte sich mein Vater breitbeinig über mich und schrie: »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du im Haus nicht rennen sollst!« Als sie da war, wiederholte er auf Deutsch: »Nicht hier drinnen!« Vor ihr gerierte er sich als Euro-Mann. Guy Brockwell war einer dieser Oberchecker, die nach dem Mauerfall nach Ostberlin gegangen waren. Er setzte einen Fuß durch das Fenster einer verlassenen Fabrik und gründete mit einer Autostereoanlage und einer Flasche Ingwerwein einen Club. Als das mit der Glastür passierte, lag diese letzte, ausgedehnte Phase seiner Jugend gerade hinter uns. Ihm war nichts weiter geblieben als ein Paar abgewetzte Hosen und ein paar Sätze auf Deutsch, die er in Gegenwart von Frauen anbringen konnte. Ich dagegen denke heute noch manche Sachen auf Deutsch, auch nach all den Jahren noch. Das Gehirn eines Kleinkinds ist so weich wie Haferbrei, da sinken die Rosinen leicht ein.
    Außerdem war ich mit einem Buch namens Frederick zurückgekommen. Frederick war eine Maus, die im Sommer Farben sammelt, um dann im Winter, wenn alle anderen Mäuse nur noch an graue Dinge denken können, von den ganzen gesammelten Farben zu erzählen. Am Ende sind die Mäuse überglücklich und rufen: »Frederick, du bist ja ein Dichter!«
    Ich wusste: Ich war Frederick. Ich sah sogar so aus wie er. Regelmäßig zog ich einen Stuhl vor unsere von Einschüssen pockennarbige Wohnung in Prenzlauer Berg, kletterte drauf und rezitierte Gedichte. Nie sah ich dabei jemanden an: Ich versteckte mich hinter den Reimen. Aber meine Lesungen begann ich immer so wie Frederick: »Ihr lieben Mäusegesichter …«
    Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus war Ostberlin wie ein Kinderspielplatz. Niemand wusste, wem was gehörte, man brauchte kein Geld und keine Erlaubnis für seine Projekte, ein Sitzsack, ein bisschen wehmütige Musik und eine Gießkanne mit aufgemaltem Augapfel genügten völlig.
    Nicht, dass ich daran dachte, als ich in jener Nacht in England blutend auf dem Küchentisch lag, wo mich mein Vater mit Jod und Verbandszeug verarztete und versuchte, durch zusammengebissene Zähne ruhig zu klingen. In der Küche roch es wie im Krankenhaus. Im Dunkel des Türrahmens stand Smuts, leuchtende Punkte spiegelten sich in seinen Augen. Wie Tiere nach einem Gewaltausbruch hatten wir beide Angst.
    Mein Vater war aggressiv, weil er Geldsorgen hatte. Der Gerechtigkeit halber sei gesagt, dass er sich seine Probleme nicht selbst machte – wie die meisten Leute überkam ihn eines Tages einfach der Leichtsinn, und er unterschrieb irgendetwas, was demjenigen gut zu Gesicht stehen sollte, der er sein wollte. Ein bisschen unbekümmerte Musik, ein paar lebendige Farben und Bilder von jungen Frauen – und schon hatte er unterschrieben. Katheter schoben sich in seine Konten, und ganz im Sinne der aufgedrehten Wirtschaftshähne tröpfelte, floss oder strömte sein Geld von dannen. Der Kummer begann, ihn zu zerfressen, ich konnte zusehen, wie er sich veränderte. Sein Selbstwertgefühl gründete irgendwann nur noch auf dem Waren- und Kreditfluss.
    Es war der Profit, der mich durch die Glastür warf, nicht er.
    Und bald hatte diese Infektion ihn ganz verheert. Die Bestätigung dafür bekam ich Jahre später, als er das Buch von Frederick entdeckte und sich darüber lustig machte. Die nichtsnutzige Maus hatte eine

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