Das Buch Ohne Gnade: Roman
Mondega.«
»Solange nichts schiefgeht.«
»Das wird es nicht. Ich sehe uns ohne Zwischenfälle heimkehren.«
»In die Zukunft blicken zu können, zahlt sich manchmal ganz gut aus, nicht wahr?«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Annabel. »Ich habe beim Roulette ganz schön abgeräumt, wissen Sie.«
» Ja? Denn dieser Tipp, den Sie mir gaben, war nicht besonders gut. Ich habe ein Vermögen verloren, als Sie Rot vorhersagten.«
Annabel lächelte. »Das ist seltsam. Wissen Sie, das war das einzige Mal an diesem Tag, dass ich nicht gewonnen habe.«
»W ie bitte? «
»Ich habe am Roulettetisch heute fast einhunderttausend Dollar gewonnen. Ich habe mich nur ein einziges Mal geirrt, als Sie Ihr Geld verloren.«
»Vielen lieben Dank«, sagte Sanchez bitter.
Ein wissendes Grinsen huschte über das faltige Gesicht der Mystischen Lady. »Wenn Sie mir das nächste Mal etwas zu trinken anbieten, überlegen Sie es sich vielleicht zweimal, ehe Sie mir Pisse geben«, schlug sie vor.
Danach hätte er die Fahrt am liebsten im hinteren Teil des Wohnmobils so weit wie möglich von Annabel entfernt fortgesetzt. Unglücklicherweise brauchten Elvis und Janis ein wenig Privatsphäre. Sanchez gab sich alle Mühe, nicht zu neugierig zu sein, aber seine gelegentlichen Blicke nach hinten wurden durch das Bild von Janis belohnt, die auf der Schlafcouch kniete, während Elvis sie von hinten beglückte. Und Janis war auch keine ausgesprochen leise Bettpartnerin. Powersex milderte ihr Tourette-Syndrom so gut wie gar nicht.
Der Mond und eine Million Sterne standen leuchtend und funkelnd am Himmel. Sie erhellten die Wüste und das lange Band des Highways mit einem angenehmen Licht, das nicht auf das Böse an dem Platz schließen ließ, auf dem das Hotel gestanden hatte. Sanchez hatte für Mondlicht noch nie viel übrig gehabt, aber nach all dem, was er durchgemacht hatte, fand er bei seinem Anblick einen tiefen Trost. Es hatte während der vergangenen vierundzwanzig Stunden Momente gegeben, in denen er fest geglaubt hatte, natürliche Dinge wie das Leuchten des Mondes und das Funkeln der Sterne nie wieder zu sehen. Von seinem Platz hinter Annabel gestattete ihm der Lichtschimmer,eine Kreuzung bereits zu erkennen, ehe sie von den Scheinwerfern des Wohnmobils aus dem Dunkel gerissen wurde. Er konnte sich nicht erinnern, sie während der Fahrt zum Hotel gesehen zu haben, und da dort kein Hinweisschild mit genauen Fahrthinweisen zu erkennen war, hoffte er, dass Annabel wusste, welche Straßen sie nehmen musste. Sie bremste den Van auf Schritttempo herunter, während sie sich der Kreuzung näherten. Dann lehnte sie sich zurück und schaute Sanchez über die Schulter an.
»Wissen Sie, wie es von hier aus weitergeht?«, fragte sie.
»Ich habe nicht den leisesten Schimmer. Geradeaus ist wahrscheinlich ebenso gut wie jede andere Richtung.«
»Das weiß ich nicht«, sagte Annabel zweifelnd. Sie hatte sich immer noch halb zu Sanchez umgewandt und achtete nicht auf die Straße vor ihr. An ihr vorbei auf die Kreuzung blickend, der sie sich näherten, entdeckte Sanchez einen Mann, bekleidet mit einem schwarzen Anzug und einem Filzhut auf dem Kopf, der auf dem Mittelstrich der Straße dahinschlenderte. Er wäre sogar im grellen Scheinwerferlicht kaum zu erkennen gewesen, wenn er nicht einen langen weißen Wegweiser auf der Schulter getragen hätte.
» ACHTUNG !«, rief Sanchez laut.
Annabel wandte sich ruckartig wieder zur Windschutzscheibe um und rammte gleichzeitig den Fuß aufs Bremspedal.
»Mein Gott! Wer zur Hölle ist das?«, fragte sie.
Sanchez erhob sich und ging zu ihr nach vorne. Der Wegweiser, den der Mann schleppte, bestand aus vier Richtungsschildern, die rechtwinkelig zueinander angeordnet und jeweils mit einem Zielort beschriftet waren, die Sanchez jedoch nicht lesen konnte.
»Ich glaube«, sagte er leise, »das ist Robert Johnson.« Er dachte an den jungen Sänger, den er nur wenige Stunden zuvor als Jacko kennengelernt hatte. Irgendwie passte dieser Name nicht mehr zu ihm.
Annabel runzelte die Stirn. »Der Blues Man?«
»Ja.«
»Der Mann, der an der Wegkreuzung seine Seele dem Teufel verkauft hat?«
»Ja. Genau der. Wie zum Teufel hat er es geschafft, so schnell hier zu sein? Ich dachte, ich hätte ihn im Hotel getötet.« Als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er hastig hinzu: »Scheiße, das war ein Unfall.«
»Ich weiß nicht so recht, ob ich mehr darüber hören muss«, sagte Annabel spitz und schüttelte
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