Das Buch ohne Staben - Anonymus: Buch ohne Staben - The Eye of the Moon
Teufel persönlich hinter ihm her – so ein Ding war bestimmt kein guter Sprinter –, erlebte er den zweiten massiven Schock innerhalb kürzester Zeit.
Die Holzpuppe von Ludwig van Beethoven hatte sich aufgerichtet, irgendwie zum Leben erweckt von der winkenden Knochenhand dieses – dieses Dings am Flügel. Sie stand direkt vor Rockwell und starrte ihn unter ihrer mächtigen Mähne blicklos an, die Arme und die Holzhände ausgestreckt, wie um ihn an der Kehle zu packen.
Der geschockte Nachtwächter schlug mit dem Gummiknüppel nach ihr, mit dem einzigen Ergebnis eines lauten, dumpfen Geräuschs, als der Holzkopf den Treffer absorbierte. Ein Stück Ohr platzte ab, doch das war alles. Mit brennenden Fingern vom Schlag ließ Joel die nutzlose Waffe fallen, riss das Handy aus der Brusttasche und hielt es an sein Ohr, als die Puppe ihn am Hals zu fassen bekam. Während er mit dem hölzernen Assassinen über sich zu Boden ging, der ihm die Luft abdrückte und den Atem aus seinen Lungen trieb, gelang es ihm noch, einen kurzen Hilfeschrei in das Telefon zu krächzen, wider jede Vernunft in der Hoffnung, Cromwell möge ihn hören und ihn irgendwie retten oder wenigstens eine Rettungsmannschaft schicken.
»Bernard, um Himmels willen! Sie müssen mir helfen!«, ächzte er. »Ich werde hier von einem beschissenen Barry Manilow angegriffen!«
Ob der Professor antwortete oder seinen Hilferuf auch nur gehört hatte, sollte Rockwell niemals erfahren. Er ließ das Handy fallen und kämpfte mit jedem Quäntchen seiner rasch schwindenden Kräfte darum, sich seinem Angreifer zu entwinden – vergeblich. Die Holzpuppe war zu stark und völlig unbeeindruckt von seinen schwächer werdenden Bemühungen. Sie hielt ihn einfach am Boden fest, die Hände um seinen Hals gelegt, und drückte zu.
Rockwell wehrte sich verzweifelt, bis schließlich eine weitere Gestalt über ihm aufragte und er in die abscheuliche Fratze der Mumie starrte. Der untote Ägypter brauchte mehr menschliches Fleisch, um seinen verwesenden Leib zu ergänzen, und Rockwells Fleisch war wie geschaffen zu diesem Zweck.
Im Verlauf der nächsten zehn Minuten wurde der bemitleidenswerte Nachtwächter bei lebendigem Leib in Stücke gerissen und von der barbarischen Kreatur verschlungen. Es dauerte eine Weile, bis Rockwell in unvorstellbarer Agonie gestorben war. Er hatte nur drei Tage gebraucht, um seinem Vater ins Jenseits zu folgen.
Nachdem sie sich am Fleisch der beiden Nachtwächter gelabt hatte, fühlte sich die Mumie – die unsterblichen, ehemals einbalsamierten Überreste des Pharaos, der einst bekannt gewesen war unter dem Namen Rameses Gaius – frisch gestärkt und bereit, wieder in die Welt der Lebenden einzutreten. Wo sie zwei Dinge suchen – oder besser gesagt, fordern – würde. Rache an den Nachfahren derjenigen, die sie für so lange Zeit eingekerkert hatten, und die Rückgabe ihres wertvollsten Besitzes während ihrer Tage als Herrscher von Ägypten: dem Auge des Mondes .
Zwei
31. Oktober – achtzehn Jahre zuvor
Der jährlich stattfindende Halloween-Kostümball der Santa Mondega High School war für die Schüler der Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens. Die fünfzehnjährige Beth Lansbury hatte geduldig seit Anfang des Halbjahrs auf diesen Tag gewartet. Dies war ihre große Chance – vermutlich ihre einzige Chance, dachte sie –, die Aufmerksamkeit eines gewissen Jungen eine Klasse über ihr zu erwecken. Sie kannte seinen Namen nicht, und es wäre ihr viel zu peinlich gewesen, jemand anderen zu fragen, nicht zuletzt aus Angst, man könnte ihr anmerken, wie verknallt sie war, und sie deswegen hänseln. Was die anderen ganz bestimmt getan hätten.
Beth hatte keine Freundinnen in der Schule. Sie war immer noch ziemlich neu, und extrem hübsch zu sein half auch nicht gerade weiter. Das war einer der prinzipiellen Gründe, warum all die anderen Mädchen sie abzulehnen schienen. Genauer gesagt, Ulrika Price mochte Beth nicht, und sie hatte allen anderen Mädchen klargemacht, dass keine mit Beth zu reden hatte, es sei denn, um irgendetwas Hämisches zu ihr zu sagen.
Wie es in jener Gegend angesagt war, fand der Ball in der zur Schule gehörenden Sporthalle statt. Tagsüber hatte Beth ihrer Englischlehrerin, Miss Hinds, beim Schmücken der Halle geholfen. Die Halle hatte nicht wirklich umwerfend ausgesehen, als sie fertig gewesen waren, doch jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit, mit all den bunten Lichtern und der Musik, gewann der
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