Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
dass Euer Vater mein ärgster Konkurrent gewesen ist und mir manches lohnende Geschäft vor der Nase weggeschnappt hat. Aber selbst Euch müsste klar sein, dass ich eine Situation wie diese, in der sich dunkle Wolken über unserem Volk zusammenziehen, niemals nutzen würde, um daraus Gewinn zu schlagen, und dass ich die Überlegungen unseres geschätzten Parnes nur deshalb unterstütze, weil ich mich wie er um das Wohl unserer Gemeinde sorge.«
»W ollt Ihr mir unterstellen, das täte ich nicht?«, fragte Mordechai, und im angriffslustigen Funkeln seiner Augen hatte Chaya für einen Moment das Gefühl, seinen Vater zu erblicken. D ie erstaunliche Fähigkeit, jemandem das Wort im Mund herumzudrehen, hatte Mordechai fraglos von ihm, und wie der allgemeinen Entrüstung zu entnehmen war, zeigte sie noch immer Wirkung. »Ich habe die Nachfolge meines Vaters in diesem Gremium nicht angetreten, weil ich nach Einfluss oder Anerkennung dürste«, tönte er fort, »sondern weil ich als wohlhabendes Mitglied dieser Gemeinde Verantwortung trage für unser aller Wohlergehen. Und diese Verantwortung sagt mir, dass es falsch wäre, sich der Furcht zu ergeben, sondern dass wir auf das vertrauen sollten, was wir uns über eine lange Zeit hinweg mühevoll erarbeitet haben, nämlich die Freundschaft und die Anerkennung jener, in deren Städten wir leben, denen wir Tribut entrichten und die geschäftlich mit uns verkehren.«
»Freundschaft?« Isaac schaute ihn durchdringend an. »Glaubt Ihr wirklich, die Christen wären uns freundschaftlich verbunden? Ihr verwechselt den Respekt, den sie uns entgegenbringen, mit Liebe. Vielleicht, weil Ihr den Unterschied nicht kennt.«
Chaya hielt den Atem an. Ihr war klar, dass ihr Vater nicht nur vom Verhältnis Mordechais zur Gemeinde sprach – und Mordechai wusste es vermutlich auch. Seine Augen verengten sich, seine Lippen begannen vor Wut zu beben. »Spitzfindigkeiten«, rief er und machte eine unwirsche Handbewegung. »Respekt oder Liebe, was gilt es mir? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Christen ihr gutes Verhältnis zu uns leichtfertig gefährden oder es gar aufs Spiel setzen würden.«
»Ich ebenso wenig«, pflichtete Jakob Lachisch bei, der Gabbai und Buchführer der Gemeinde. Auch von den anderen Sitzen kam Zustimmung, sodass die Stimmabgabe, um die der Vorsteher schließlich bat, nur noch eine Sache der reinen Form war.
Nur drei der zwölf Mitglieder des Rates waren dafür, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen und andere Gemeinden um Hilfe zu bitten. Die überwältigende Mehrheit hingegen schloss sich Mordechais Argumentation an und stimmte dafür, alles b eim Alten zu belassen und den Sturm, der sich vielleicht über anderen Städten, ganz sicher aber nicht über Köln zusammenbrauen mochte, vorüberziehen zu lassen. Lediglich allgemeine Schutzmaßnahmen wurden beschlossen – so wollte man eine Empfehlung aussprechen, die den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde nahelegte, das eigene Viertel nur zu verlassen, wenn die Notwendigkeit es verlangte, keinesfalls jedoch nach Einbruch der Dunkelheit. Außerdem wurde auf Drängen Rabbi Akibas ein allgemeines Fasten angeordnet, mit dem man Gott um Beistand bitten wollte.
Chaya blieb nicht mehr lange genug, um zu hören, wie der Parnes ein Dankgebet sprach und die Versammlung auflöste – was sie betraf, so hatte sie genug erfahren. Auf leisen Sohlen schlich sie von der Galerie und verließ die Synagoge, um noch vor ihrem Vater zu Hause zu sein. Was sie gehört hatte, ließ sie jedoch nicht mehr los.
In vergleichsweise gelöster Stimmung hatten die Ratsmitglieder das Gotteshaus verlassen, augenscheinlich sehr zufrieden mit dem, was erreicht worden war. Lediglich Daniel Bar Levi und Isaac Ben Salomon blieben zurück, und es war offensichtlich, dass sich in ihren faltigen Mienen dieselbe Sorge spiegelte.
»W ie ich sehen kann, mein Freund, teilt Ihr die Erleichterung der anderen nicht«, stellte der Vorsteher der Kölner Gemeinde ohne jede Genugtuung fest. Den Stab in seiner Rechten schien er mehr denn je zu benötigen, so als hätte der Verlauf der Beratung ihn abermals um Jahre altern lassen.
»Nein«, gab Isaac zu. »Denn anders als Mordechai habe ich Zweifel, was die guten Absichten jener fremden Krieger betrifft. Und ich fürchte, dass Fasten allein sie nicht fernhalten wird.«
»Auch ich hege diese Zweifel«, pflichtete der Vorsteher bei, »doch wie du gesehen hast, wollte sie niemand hören. Die Mehrheit unserer Brüder zieht es
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