Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
von dort nach Alexandretta, das sie nach kurzem Aufenthalt am Tag zuvor verlassen hatten. Obwohl die Reise beschwerlich gewesen war, war sie ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufen.
Um der Entdeckung durch seldschukische Patrouillen zu entgehen, hatten sie es vorgezogen, entlang der Küste gen St. Symeon zu reisen, um sich Antiochia dann von Westen her zu nähern, durch das fruchtbare Tal des Wadi al-Qifaysiya. Und j e näher das Ziel ihrer Reise rückte, desto deutlicher spürte Conn Chayas wachsende Unruhe.
»W ie soll ich Euch nur danken, Conwulf?«, fragte sie, während sie neben ihm herritt, an den Klippen entlang, die steil zum Meer hin abfielen. Bertrand hatte die Vorhut übernommen und war ein Stück voraus, während der Maulesel Berengars in kurzem Abstand hinter ihnen hertrabte, sein Reiter, wie es schien, in Kontemplation versunken. »Ihr habt mehr für mich getan, als ich jemals gutmachen könnte.«
»Herrn Baldric hat Euer Dank zu gelten«, antwortete Conn. »Hätte er mir nicht gestattet, Euch zu begleiten …«
»Die Bescheidenheit steht Euch gut zu Gesicht, Conwulf.« Sie lächelte. »Aber Ihr solltet nicht zu bescheiden sein. Ihr hattet recht, als Ihr sagtet, dass ich allein nicht die geringste Aussicht gehabt hätte, Antiochien lebend zu erreichen.«
»Das sagte ich«, gab Conn zu. »Inzwischen bin ich mir allerdings nicht mehr ganz so sicher, nach all den Fährnissen, die Ihr überstanden habt.«
Erneut lächelte sie.
Sie hatte ihm von ihrer langen Irrfahrt berichtet. Von dem Unrecht, das ihr Vater und sie in der alten Heimat zu erdulden hatten, und von den Gefahren, denen sie ausgesetzt gewesen waren; von ihrer Reise nach Italien und über das Mittelmeer und von dem langen Winter, den sie auf Kreta ausgeharrt hatten; von ihrer Weiterfahrt über das Meer bis zu jenen dunklen Tagen, da Chaya am Krankenbett ihres Vaters ausgeharrt und um seine Genesung gebetet hatte. Je mehr Conn über sie erfahren hatte, desto größer war das Gefühl von Vertrautheit geworden, das er der jungen Jüdin gegenüber empfand.
»Ich habe Euch alles über mich berichtet«, sagte sie. »Ihr jedoch hüllt Euch weiterhin in Schweigen, obschon sich unsere Reise allmählich dem Ende nähert.«
»Nur weil es da nicht viel zu erzählen gibt. Ihr wisst, was ich in London gewesen bin.«
»Ihr habt es mir gesagt. Aber Ihr habt unerwähnt gelassen, w eshalb Ihr England verlassen und Euch dem Feldzug gegen die Heiden angeschlossen habt.«
Er streifte sie mit einem Seitenblick. Es war befremdlich, das Wort »Heiden« aus ihrem Mund zu hören, aber sie sagte es ohne Bitterkeit. »Es war wegen Nia«, hörte er sich selbst sagen, noch ehe er sich darüber klar geworden war, ob er über diesen Teil seiner Vergangenheit überhaupt sprechen wollte.
»Tatsächlich?« Sie schaute ihn fragend an. »Ihr habt mir nie erzählt, was aus ihr geworden ist.«
»Sie ist tot«, sagte Conn leise.
»Oh, Conwulf! Das tut mir leid.«
»Sie hatte immer davon geträumt, England zu verlassen und in ihre Heimat zurückzukehren. Sie verblutete in meinen Armen, während ich ihre Hand hielt und ihr in die Augen sah.«
»Conwulf! Ich … ich …« Sie schüttelte den Kopf und wusste nicht, was sie erwidern sollte. Manches, was sie in der Vergangenheit gesagt hatte, schien sie plötzlich zu bedauern, vieles begann sie erst jetzt zu verstehen. »Deshalb also begleitet Ihr mich nach Antiochia. Weil Ihr genau wisst, welchen Verlust ich erlitten habe.«
»Einen geliebten Menschen zu verlieren ist die Hölle«, sagte Conn grimmig, während er weiter geradeaus schaute und ihren Blick mied, der voller Bedauern und Mitgefühl war.
»Ich habe diese Hölle zweimal durchlebt«, gestand Chaya leise. »Nur wenige Monate, ehe wir Köln verließen, starb meine Mutter.«
»Ihr … Ihr habt innerhalb kurzer Zeit beide Elternteile verloren?« Conn schaute sie fragend an. Diesmal war sie es, die ihm auswich. Stattdessen ließ sie ihren Blick über die Küste und die türkisblaue See streifen.
»Eigentlich nicht«, antwortete sie nach einer Weile. »In einem gewissen Sinn starb auch mein Vater an dem Tag, da meine Mutter ihr Leben ließ. Sie hat ihm alles bedeutet.«
»W ie ist es passiert?«
» Es war ein Unfall. Meine Mutter kam ins Handelskontor meines Vaters, um ihm getrocknete Früchte und Wein zu bringen. Er hatte den ganzen Tag gearbeitet, und sie war der Ansicht, dass er sich stärken müsse.« Ihre Stimme hatte noch mehr an Kraft verloren. Es fiel ihr
Weitere Kostenlose Bücher