Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
ganze Zeit über gewollt hatte – in die Höhle des Löwen. Vielleicht, dachte er in seiner Verzweiflung, konnte er die Gelegenheit nutzen, um nahe genug an Guillaume de Rein heranzukommen und das zu tun, was er sich geschworen hatte. Zweifellos würde es das Letzte sein, was er tat, aber wenigstens würde er Nias Mörder mit sich nehmen …
Unruhig trat Conn von einem Bein auf das andere, während er sich in dem geräumigen Zelt umblickte. Die de Reins gehörten zu jenen Privilegierten, denen es auch in der Fremde an nichts gebrach. Mit Teppichen und Schranktruhen, dazu einem langen Tisch, auf dem Zinnbecher und eine mit Wein gefüllte Karaffe standen, war die behelfsmäßige Bleibe besser eingerichtet als jedes feste Dach, das Conn je über dem Kopf gehabt hatte. Bei dem Gedanken, dass ein Verbrecher vom Schlage Guillaume de Reins in solchen Annehmlichkeiten schwelgen durfte, während so viele rechtschaffene Männer ihr Haupt auf den nackten Boden betteten, verspürte Conn Wut.
»Da bist du ja«, sagte plötzlich jemand – verblüffenderweise kam Conn die Stimme bekannt vor. »Es war alles andere als einfach, dich in diesem Durcheinander zu finden, das sich Heerlager nennt.«
Conn fuhr herum – und erlebte zum zweiten Mal an diesem Abend eine handfeste Überraschung. Denn der Mann, der vor ihm stand, in Tunika und Mantel eines wohlhabenden Normannen gehüllt und das Langschwert an der Seite, war kein anderer als der, dem er vor Dorylaeum das Leben gerettet hatte! Die festen Gesichtszüge mit den kleinen, streng blickenden Augen und dem kupferfarbenen Haar hätte Conn unter Tausenden herausgekannt.
»Du erkennst mich?«, deutete der andere seinen offenen Mund und die erstaunt geweiteten Augen richtig.
»J-ja, Herr«, stammelte Conn. »Seid Ihr … Renald de Rein?«
»So ist es«, bestätigte der Baron, und Conn wurden zwei Dinge klar: Dass er, freilich ohne es zu ahnen, damals vor Dorylaeum den Vater seines Erzfeindes gerettet hatte. Und dass R enald de Rein nicht wegen der Ereignisse von London nach ihm geschickt hatte.
»Hast du den Ring noch, den ich dir gab?«, wollte der Baron wissen.
»Ja, Herr.«
»Dann lass mich ihn sehen.«
Conn murmelte eine Bestätigung, dann griff er nach dem Saum seines Rocks, hob ihn an und zerriss das Futter. Der Ring fiel heraus, und Conn fing ihn auf und reichte ihn de Rein.
»Sei unbesorgt«, sagte dieser kopfschüttelnd, nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen hatte. »Ich will ihn nicht zurück. Ich wollte nur sichergehen, dass du tatsächlich der bist, der mir damals den Hals gerettet hat.«
»Das bin ich, Herr«, antwortete Conn. Das Kleinod steckte er in seinen Gürtelbeutel, obschon es ihm lieber gewesen wäre, de Rein hätte es ihm wieder abgenommen. Er wollte nichts besitzen, von dem er das Gefühl hatte, dass Nias Blut daran klebte.
»W eißt du, wie viel Mühe es mich gekostet hat, dich zu finden, Conwulf?«
»Nein, Herr.«
»Ich muss gestehen, dass mir deine Gesichtszüge entfallen waren, obgleich du doch so viel für mich getan hast. Deine Tapferkeit hingegen ist mir unvergessen geblieben, also kam ich auf den Gedanken, dich suchen zu lassen, um dir zum Fest des Herrn ein Geschenk zu machen.«
»Ihr habt mir bereits etwas geschenkt, Herr«, brachte Conn in Erinnerung. Der alleinige Gedanke, noch etwas aus de Reins Besitz zu erhalten, drehte ihm den Magen um.
»Ich weiß, Conwulf. Was ich dir schenken möchte, ist auch nicht aus Gold oder mit Gemmen besetzt.« Er ging zum Tisch, füllte einen der Becher mit Wein und nahm einen tiefen Schluck. »W usstest du, dass ich einen Sohn in deinem Alter habe?«, fragte er unvermittelt.
C onn stand wie versteinert. Er konnte nicht verhindern, dass sich seine Hände zu Fäusten ballten. »Ja, Herr.«
»Bedauerlicherweise«, fuhr de Rein fort, nachdem er erneut getrunken hatte, »sind Guillaume und ich selten einer Meinung, denn er ist das genaue Gegenteil von dem, was ich gerne in ihm sehen würde.« Ein wehmütiges Lächeln spielte um seine bärtige Kinnpartie, und für einen Augenblick schien er sich in Erinnerungen zu verlieren. Dann wandte er sich wieder seinem Besucher zu. »Du hingegen, Conwulf, bist ein Mann nach meinem Herzen.«
»Danke, Herr.« Conn schluckte sichtbar.
»Als mein Nachfolger und Erbe wäre es Guillaumes Pflicht, hier zu sein, diesen Wein mit mir zu trinken, Seite an Seite mit mir in der Schlacht zu kämpfen und mich wie ein schützender Schatten zu begleiten. Stattdessen
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