Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
Gerechtigkeit?«
Guillaume antwortete nicht.
»W er Gerechtigkeit verlangt, muss auch bereit sein, Gerechtigkeit zu üben. Was mit dem Angelsachsen zu geschehen hat, bestimme ich daher ganz allein.«
»Aber er hat versucht, mich zu töten!«
» Und dafür werde ich ihn bestrafen. Mit vierzig Stockhieben auf den Rücken.«
»V ierzig Stockhiebe?«, näselte Guillaume aufgebracht. »Das ist alles?«
»Dreißig«, verbesserte sich de Rein und schien es fast zu genießen. »Hast du noch etwas zu sagen?«
Guillaume starrte ihn an.
Seine Lippen bebten, die Wangenknochen mahlten, aber er erwiderte nichts mehr. Stattdessen wandte er sich ab und stampfte davon, dicht gefolgt von Eustace und einigen Soldaten.
Renald de Rein blickte ihnen nach, und es war unmöglich zu sagen, was dabei in seinem klobigen Schädel vor sich ging. Dann setzte er sich in Bewegung und trat auf Conn zu, der noch immer benommen am Boden lag. »Unerschrocken bist du, das muss man dir lassen. Allerdings auch wild und schwer zu kontrollieren. Diesen Angriff wird Guillaume dir nicht verzeihen, also sei künftig auf der Hut. Und lass dir die Stockhiebe eine Lehre sein, sonst wirst du mich noch kennenlernen. Genau wie dein Vater.«
Achtundzwanzig.
Neunundzwanzig.
Dreißig.
Die Stimme des Normannen Gerard klang Conn noch immer im Ohr. Mit eiserner Hand hatte de Reins Scherge den Stock geführt, wobei er jeden Schlag laut mitgezählt hatte. Dazwischen war jeweils das hässliche Fauchen zu hören gewesen, mit dem das Holz niederging, gefolgt von einem trockenen Klatschen, das im Verlauf der Bestrafung zu einem ekelerregenden Schmatzen geworden war.
Ein um das andere Mal hatte der Normanne den Stock niedergehen lassen, bis die Anzahl der Schläge erfüllt war. Die Qual dabei war fast unerträglich gewesen, und mehrmals hatte Conn geglaubt, die Sinne müssten ihm vergehen vor Schmerz. A ber er lebte noch, und auch beide Augen waren ihm geblieben.
Warum das so war, konnte er nur mutmaßen – vermutlich hing es nicht so sehr mit ihm selbst zusammen als vielmehr mit Dingen, die Renald de Rein und seinen Sohn betrafen. Der Baron war ein grausamer Mann, der vor keiner Brutalität zurückschreckte, um seine Ziele zu erreichen, Unerschrockenheit und Mut gehörten jedoch ebenfalls zu seinen Charaktereigenschaften. Guillaume de Rein hingegen hatte offenbar nur die Ruchlosigkeit von seinem Vater geerbt. Mit der verzweifelten Attacke auf seinen Sohn hatte sich Conn zwar dessen Todfeindschaft zugezogen, die Sympathien des Barons jedoch teilweise zurückgewonnen.
»Jetzt, Junge. Beiß zu.«
Mit aller Kraft presste Conn seine Zähne auf das Stück Holz, das man ihm zwischen die Kiefer geschoben hatte. Die Strafe war unmittelbar nach der Urteilsverkündung vollzogen worden. Danach hatte man Conn einfach am Fuß des Felsblocks liegen lassen, über dem man ihn verprügelt hatte. Zwei Schatten waren daraufhin über ihm aufgetaucht, und Conn war ebenso dankbar wie erleichtert gewesen, als er Bertrand und Remy erkannte, die ihn hochhoben und quer durch das Lager trugen, in den Schutz von Baldrics Zelt.
Der Schmerz, der sich in diesem Moment wie flüssiges Eisen über Conns malträtierten Rücken ergoss, war so heiß und brennend, dass ihm Tränen in die Augen schossen. Aber er unterdrückte jede Klage.
»Das Salz bereitet höllische Qualen«, erklärte sein Adoptivvater dazu, während er die Körner in die blutigen Striemen rieb. »Aber es sorgt auch dafür, dass die Wunden rasch verheilen, verstehst du?«
Conn versuchte ein Nicken, aber es wollte ihm nicht recht gelingen, weil seine Nackenmuskeln zu verkrampft dazu waren. Noch einmal verabreichte Baldric ihm eine Ladung Schmerz, dann half er ihm dabei, sich auf seine Schlafstatt niederzulas s en, wo Conn erschöpft liegenblieb, bäuchlings, um jede Berührung seines Rückens zu vermeiden. Baldric setzte sich neben ihn, und eine Weile lang wurde es still im Zelt, nur das Knacken des Feuers war zu hören, das der Normanne in der Mitte des Zeltes entzündet hatte.
»Baldric?«, fragte Conn irgendwann.
»Ja, Junge?«
»Ist es wahr?«, erkundigte sich Conn vorsichtig.
»W as meinst du?«
»Guillaume«, brachte Conn mühsam hervor. »Er sagte etwas, das ich nicht verstanden habe. Er …«
»Ich weiß, was er sagte«, erklärte Baldric ruhig. »Berengar hat es mir berichtet.«
»Und?«
Baldric seufzte, so als hätte er geahnt, dass er sich dieser Frage stellen musste. Die Antwort schien ihm dennoch nicht
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