Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Titel: Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
wäre ihr tumber Geist dazu nicht einmal in der Lage gewesen.
    Seine Mutter hatte Guillaumes Vorbehalte stets verstanden. Sie stammte aus vornehmem Hause und wusste um den Wert normannischer Tradition und normannischen Wesens. Anders als sein Vater, der all dies weit hinter sich gelassen zu haben schien und – so jedenfalls hatte es den Anschein – schon fast selbst ein Engländer geworden war. Guillaume hatte nie verstanden, weshalb sein Vater nach dem Sieg über die Angelsachsen nicht aufs Festland zurückgekehrt war, zumal König William es ihm in Aussicht gestellt hatte. Doch Renald de Rein, von Einfalt, von Ehrsucht oder auch von beidem getrieben, hatte seinen König gebeten, in England bleiben zu dürfen, und wurde – wohl mehr aus Spott denn aus dankbarer Verbundenheit – mit einem Lehen in Northumbria bedacht, dem am weitesten nördlich gelegenen Teil des Reichs, der fortwährend bedroht wurde, nicht nur von den Schotten, die jenseits der Grenzen hausten, sondern auch von ständiger Revolte.
    Hätte seine Torheit nur ihn selbst betroffen, hätte Guillaume seinem Vater wohl vergeben. Dass er seine Mutter und ihn jedoch nachgeholt und sie beide ebenfalls in dieses ungastliche, neblige und von Insekten verseuchte Land bestellt hatte, hatte er ihm nie verziehen. Hier gab es nichts, an dem der Geist sich erfreuen und an dem die Seele sich laben konnte. Eintönigkeit und Ödnis prägten das Leben auf Burg de Rein, Waffengänge mit rebellierenden Gefolgsleuten des Königs und unbelehrbaren piktischen Barbaren waren an der Tagesordnung. Die Einladung nach London war daher freudig begrüßt worden, und das nicht nur von Guillaume. Auch seine Mutter Eleanor hatte darauf bestanden, ihren Gatten an den königlichen Hof zu begleiten – ein weiterer Grund dafür, dass die Reise länger gedauert hatte als sonst.
    Als die kahle Steinmauer endlich vor ihnen auftauchte, die schon das alte Londinium umgürtet hatte und die Wälder östlich der Stadt von den bewirtschafteten Feldern schied, war d ie Erleichterung entsprechend groß. Und obwohl Guillaume dieses Land nicht mochte und seine Bewohner zutiefst verachtete, kam er nicht umhin, beeindruckt zu sein, als sich das Burgtor vor ihnen öffnete und sie in den Innenhof einritten.
    Zuletzt war er als Knabe in London gewesen, und obwohl sich der Donjon bereits im Bau befunden hatte, war davon wenig mehr zu sehen gewesen als die Grundmauern. Inzwischen jedoch war er zu imposanter Größe angewachsen. Auf beinahe quadratischem Umriss, von drei trutzigen Türmen und einer gerundeten Ausbuchtung flankiert, die eine Kapelle zu beherbergen schien, bot der Turm von London einen großartigen Anblick, der den alten normannischen Glanz zumindest erahnen ließ. Guillaume musste grinsen bei dem Gedanken, welchen Eindruck das Bauwerk auf die Angelsachsen machen musste, deren gedrungene, aus Holz und Lehm erbaute Hütten nur ein Stockwerk und ein strohgedecktes Dach besaßen. Wenigstens, dachte er, konnte beim Anblick dieser Burg kein Zweifel mehr daran aufkommen, wer die Herren auf diesem unwirtlichen Flecken Erde waren.
    Der Stallmeister und einige Knechte warteten im Hof, um die Pferde in Empfang zu nehmen und den Frauen beim Absteigen behilflich zu sein. Guillaume sprang leichtfüßig aus dem Sattel und eilte dann zu seiner Mutter. Den Stallknecht verscheuchte er mit einem unwirschen Laut, noch ehe dieser auch nur Anstalten machen konnte, sie zu berühren.
    Eleanor de Rein waren die Strapazen des langen Ritts anzusehen. Sie war ohnehin von schlanker, fast knochiger Gestalt, und ihre Haut zeichnete sich durch auffallende Blässe aus, woran auch die vieltägige Reise unter freiem Himmel nichts hatte ändern können. Im Gegenteil schien die Baronin während der letzten Wochen noch bleicher geworden zu sein. Das helle Blau ihres Mantels und das Gebende, das ihre markanten Gesichtszüge umrahmte und ihr die würdevolle Strenge einer Äbtissin verlieh, unterstrichen diesen Eindruck noch. Wer von Eleanors zerbrechlich wirkendem Äußeren jedoch auf i hr Wesen schloss, der beging einen verhängnisvollen Fehler. Denn die auf den ersten Blick so blutarme Hülle barg einen messerscharfen, berechnenden Verstand, für den Guillaume seine Mutter immer bewundert hatte. Und der Blick ihrer grünen, ob der Anstrengung dunkel geränderten Augen machte klar, dass sie sich ihrer Herkunft und ihres Standes stets bewusst war.
    »Danke, Sohn«, sagte sie, nachdem er sie aus dem Sattel gehoben und sanft auf

Weitere Kostenlose Bücher