Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Titel: Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
wahr sein?
    Im selben Maß, wie sich der Inhalt des Buches ständig zu verkomplizieren schien, veränderte sich auch die Schrift. Aufgrund ihrer Ebenmäßigkeit hatte Berengar sie zunächst für das Werk eines berufsmäßigen Schreibers gehalten, dann je d och ging ihm auf, dass es wenigstens zehn verschiedene sofer gewesen waren, die an dem Buch gearbeitet und es im Lauf der Zeit wohl beständig erweitert und ergänzt hatten. Aber zu welchem Zweck?
    Fieberhaft arbeitete Berengar weiter, ruhelos flogen seine Augen zwischen der Schriftrolle und dem lateinischen Bibelkodex hin und her, den er aufgeschlagen neben sich liegen hatte. Vielleicht, so dachte er, war seine frühere Beschäftigung mit jüdischer Mystik auch der Grund dafür gewesen, dass der Anblick des signum Salomonis sein Interesse geweckt hatte. Mehr noch, hatte womöglich die göttliche Vorsehung dafür gesorgt, dass er in jungen Jahren jene Vorkenntnisse erworben hatte? War er dazu auserwählt, diese Schrift zu übersetzen?
    Am hellen Tage wären ihm Gedanken wie diese vermutlich abwegig erschienen. Im flackernden Schein der Öllampen jedoch entbehrten sie nicht einer gewissen Zwangsläufigkeit, ja einer Logik, der sich wohl selbst ein scharfsinniger Denker vom Schlage eines Augustinus nicht ohne Weiteres hätte entziehen können.
    Hatten Kirchenväter wie er nicht stets versucht, die Existenz Gottes zu beweisen? Hatten sie nicht gefordert, dass es eine allgemein gültige Wahrheit geben müsse, in der sich die Gegenwart des Allmächtigen widerspiegele?
    Was, so fragte sich Berengar mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Schaudern, wenn es genau das war, wovon das Buch handelte? Wenn dies der Grund dafür war, dass die Jüdin und ihr Vater so versessen darauf gewesen waren, das Buch ins Gelobte Land zu bringen und es vor fremdem Zugriff zu bewahren?
    Von Voraussagen und Prophezeiungen war darin die Rede, vom Wiedererstarken des Volkes Israel, von der Einberufung eines neuen Sanhedrin und einem neuen Königreich Jerusalem – Dinge, die Berengar halbwegs verstand, jedoch nicht einordnen konnte. Handelte es sich lediglich um die haltlosen Visionen religiöser Eiferer? Oder steckte mehr dahinter, barg das Buch die Kraft des Göttlichen?
    D as entscheidende Stück des Mosaiks fehlte noch, jener letzte Hinweis, der die ungeheuerliche Vermutung bestätigte, die der Mönch bereits seit geraumer Zeit hegte, gemäß der Ankündigung im vierten Buch der Psalmen:
    Der Herr ist König! Es zittern die Völker. Er thront auf den Cherubim. Es wankt die Erde. Groß ist der Herr in Zion, erhaben ist Er über alle Völker. Preisen sollen sie Deinen Namen, den großen und mächtigen – heilig ist er.

----
5.
----

    »Nun, werter Eustace?«
    Guillaume de Rein bedachte das Oberhaupt der Bruderschaft mit einem herausfordernden Blick. Eustace de Privas kauerte vor ihm auf einem Hocker, das Gesicht in den Händen vergraben und den weiten Umhang so um die Schultern gezogen, als wollte er sich darunter verkriechen. »Glaubst du immer noch, der Kampf gegen die Heiden könnte siegreich entschieden werden?«
    Eustace antwortete nicht. Schweigend saß er da, und bei näherem Hinsehen erkannte Guillaume, dass das Oberhaupt der Bruderschaft zitterte. Ob aus Furcht oder infolge des Hungers, war nicht festzustellen, aber der Edelmann aus der Provence sank dadurch noch mehr in seinem Ansehen.
    »Ich weiß es nicht«, ließ jener sich schließlich vernehmen, ohne dabei aufzuschauen. »So viele der unseren sind gefallen.«
    »Und es werden noch mehr werden. Ist dir aufgefallen, dass alles, was ich damals vorausgesagt habe, eingetroffen ist? Es ist uns gelungen, Antiochia einzunehmen, aber einmal mehr haben sich unsere Anführer als unfähig erwiesen. Zwar halten wir die Stadt besetzt, aber was nützt es uns? Hunger und Mangel wüten schlimmer als je zuvor, und vor den Toren sammelt sich eine riesige Streitmacht, deren einziges Ansinnen darin besteht, jeden Einzelnen von uns zu töten!«
    » Ich weiß«, ächzte der Provenzale, den die bloße Vorstellung an den Rand einer Panik zu bringen schien. »W as ist nur aus unserem Traum geworden, Guillaume?«
    »W ir sind erwacht und befinden uns nun in der Wirklichkeit. Und diese Wirklichkeit wird uns umbringen, wenn wir nichts unternehmen! Wie viele Pferde haben unsere Kämpfer noch? Vierhundert? Und wie viele von uns sind nicht mehr in der Lage, eine Rüstung zu tragen, geschweige denn ein Schwert zu führen und gegen die Heiden zu kämpfen? Auf

Weitere Kostenlose Bücher