Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
Provenzalen schließlich ritten unter dem Banner des Bischofs von Le Puy. Wir alle, die wir halb verhungert waren, wussten, dass niemand von uns überleben würde, wenn die Schlacht verloren ginge, also flehten wir um göttlichen Beistand. Dem Heer voran schritten die Mönche, die weiße Büßergewänder angelegt hatten und Choräle anstimmten, während oben auf den Zinnen die Priester für uns beteten und als Opfergabe Weihrauch zum Himmel stiegen ließen. Dem Heer voraus jedoch wurde jene Waffe getragen, die uns der Herr selbst offenbart hatte: die Heilige Lanze! Jahrhunderte lang war sie verschollen, im Augenblick der größten Not jedoch kehrte sie in die Obhut der Christenheit zurück, um uns neue Kraft zu geben.«
»W ann ist das gewesen?«
»Kurz vor der entscheidenden Schlacht. An dem Tag, an dem du das letzte Mal aus deiner Ohnmacht erwacht bist.«
Conn nickte. Er glaubte sich zu erinnern.
H atte er nicht Glockengeläut gehört und aufgeregtes Geschrei?
Hatte er nicht gesehen, wie Baldric sich bekreuzigte?
»W as ist dann passiert?«, wollte er weiter wissen.
»W ir erwarteten, dass die Sarazenen uns angreifen würden, sobald wir das freie Feld erreichten, aber das taten sie nicht. Ihrem Anführer Kur-Bagha ging es wohl darum, uns alle aus der Stadt zu locken und auf einen Streich zu vernichten. Wir zogen also mutig weiter, auch dann, als der Feind seine Pfeile auf uns niederprasseln ließ, und so erreichten wir seine Reihen. Viele von ihnen wurden erschlagen, aber zur Schlacht kam es dennoch nicht, denn die Muselmanen zogen sich zurück – ob aus Feigheit oder weil es ihrem Plan entsprach, kann ich nicht beurteilen. Aber in dem Moment, da wir ihre Verfolgung aufnahmen, erschienen auf der Kuppe eines Hügels Ritter in strahlenden Rüstungen, deren Banner und Pferde so rein und weiß waren wie Schnee. Kein anderer als der Heilige Georg, der den heidnischen Drachen erschlug, führte sie an – und in diesem Augenblick, mein Junge, wussten wir, dass die Schlacht gewonnen war.«
Conn schaute seinem Adoptivvater prüfend ins Gesicht. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass der Allmächtige selbst seine Streiter in die Schlacht um Antiochia geschickt haben sollte. Aber er konnte sehen, dass der sonst so bodenständige Baldric nicht den geringsten Zweifel daran hegte. »W as ist weiter geschehen?«
»Die Muselmanen ergriffen die Flucht«, fuhr Baldric fort, vor dessen fiebrig glänzendem Auge die Schlacht noch einmal stattzufinden schien. »W ir jagten hinter ihnen her und erschlugen so viele, wie wir konnten – auch als sie versuchten, das Gras des Wadi in Brand zu setzen. Wir folgten ihnen zu ihrem Lager und plünderten es. Tausende von Heiden fanden den Tod, und am Ende ergab sich selbst die Besatzung der Zitadelle, die Graf Raymond mit nur wenigen hundert Kämpfern in Schach gehalten hatte. Der Sieg war vollkom m en, und die Freude darüber dauert bis heute an. Aus diesem Grund läuten die Glocken, und in den Kirchen werden ohne Unterlass Dankmessen gehalten. Das alles jedoch würde mir wohl nichts bedeuten, wärst du nicht mehr aus dem Fieber erwacht«, fügte der Normanne hinzu, und die Tränen, die ihm in den Augenwinkel traten, schienen die Glut darin zu löschen. »Der Herr hat alle meine Gebete erhört, und dafür danke ich ihm.«
»Und ich danke dir«, entgegnete Conn. »Und ich bitte dich um Verzeihung dafür, dass ich nicht auf deinen Rat gehört habe.«
»Nein, Junge.« Baldric schüttelte das ergraute Haupt. »Ich bin es, der um Verzeihung zu bitten hat, denn ich wollte dich nicht verstehen. Mir war nicht klar, was du an der Jüdin findest.«
»Und nun weißt du es?«
»Ich verstehe nicht viel von solchen Dingen. Ein Weib habe ich nie gehabt, und mein Zuhause ist stets das Schlachtfeld gewesen. Aber ich habe gesehen, wie Chaya sich um dich gekümmert hat, ohne Zögern und ohne Rücksicht auf sich selbst. Nacht für Nacht sah ich sie an deinem Lager sitzen, und da wurde mir klar, was ich für ein Narr gewesen bin. Du konntest in jener Nacht nicht anders, als zu ihr zu gehen und sie mit deinem Leben zu beschützen, das weiß ich jetzt.«
»Und ich weiß, dass ich mir niemals einen besseren Vater hätte wünschen können als dich.«
Baldric schien etwas erwidern zu wollen. Die Unterlippe des alten Recken bebte, und sein verbliebenes Auge schwamm in Tränen, während er nach passenden Worten suchte – als der Vorhang der Kammer zurückgeschlagen wurde und eine schlanke Gestalt in einem
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