Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
Plan, Armenier?«, erkundigte s ich der Atabeg in einem Tonfall, der klar erkennen ließ, dass er die Zustimmung eines einfachen Offiziers weder wollte noch brauchte. »Findet er in deinen Augen Gefallen?«
Bahram überlegte einen Moment. Natürlich hätte er lügen können, aber das war nicht seine Art, zumal die Erfahrung ihn gelehrt hatte, dass sich die Wahrheit nicht lange verbergen ließ. Nicht einmal die Sterne waren dazu fähig. »Es steht mir nicht zu, Euren Entschluss in Frage zu stellen, Herr«, sagte er deshalb vorsichtig und verbeugte sich tief, »dennoch hege ich Zweifel.«
»W elcher Art?«
»Nicht was Euch, die Klugheit Eurer Unterführer oder die Stärke unserer Truppen betrifft, jedoch was den Zustand der Kreuzfahrer anbelangt.«
»W as willst du damit sagen?« Ein lauerndes Lächeln spielte um den Mund des Atabegs. Die Einwürfe schienen ihn eher zu amüsieren, als dass sie seine Besorgnis erregt hätten.
»Nun, zweifellos habt Ihr recht, wenn Ihr sagt, dass die Franken geschwächt sind und vor Hunger und Entbehrung halb dem Wahnsinn verfallen.«
»Dem Wahnsinn verfallen trifft es durchaus«, bekräftigte Kur-Bagha. »Entlang der Südmauer wurden Knochen von Menschen gefunden, an denen noch Fetzen gekochten Fleisches hingen. Ich brauchte dir wohl nicht zu erklären, was das heißt, Armenier.«
»Nein, Herr, das müsst Ihr nicht«, versicherte Bahram, schaudernd über das Ausmaß der Barbarei. »Aber bei allem Wahnsinn, der sie befallen haben mag, glaube ich dennoch nicht, dass wir mit den Franken leichtes Spiel haben werden. Selbst dann nicht, wenn es uns gelingt, sie aus den schützenden Mauern aufs freie Feld zu locken.«
»Tatsächlich?« Der Herr von Mossul musterte ihn mit einem Blick, der nicht nur Geringschätzung, sondern auch ein wenig Neugier enthielt. »Und was bringt dich auf diesen Gedanken, Armenier?«
»Glocken«, erwiderte Bahram zur allgemeinen Verblüffung. N icht nur Kur-Bagha, auch seine Unterführer schauten ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Seit nunmehr fast zwei Wochen werden sie jeden Tag zur selben Stunde geläutet.«
»Und?«, fragte Emir Duqaq. »Läuten die Christen ihre Glocken nicht unentwegt?« Er lachte auf, und zumindest seine Parteigänger stimmten in das Gelächter ein.
»Es war Euer Vorschlag, dass ich den Feind aus der Sicht meines Glaubens bewerten soll, Herr, nicht der meine.«
Nun waren es Duqaqs Rivalen, die lachten. Die Gesichtszüge des Fürsten von Damaskus verfärbten sich dunkel, und er rollte wütend mit den Augen – dazu, seinem Unwillen Luft zu machen, kam er jedoch nicht, denn zumindest Kur-Baghas Interesse war geweckt.
»Erklär mir das genauer, Armenier«, verlangte der Feldherr des Sultans. »W as hat es mit den Glocken auf sich?«
»Nach christlichem Verständnis sind sie eine Verbindung zwischen Gott und den Menschen. Sie rufen zur heiligen Messe in die Kirchen und werden zu den Hochfesten geläutet, um den Lobpreis des Herrn zu verkünden; sie warnen die Menschen vor drohendem Unheil, aber sie drücken auch Dank aus, wenn den Gläubigen besonderes Heil widerfahren ist.«
»Und du denkst, das könnte hier der Fall sein?«
»Es wäre möglich«, gab Bahram zu und blickte unsicher in Duqaqs Richtung. Er hatte seinem Fürsten schon vor einigen Tagen von seiner Beobachtung berichtet, doch dieser hatte nichts davon wissen wollen. Anders als Kur-Bagha, dessen zu Schlitzen verengte Augen kritisch zwischen Bahram und dem Emir von Damaskus pendelten.
»W as soll das heißen, Duqaq? Habt Ihr mir etwas verschwiegen?«
»Nichts, das von Interesse wäre, großer Kur-Bagha«, versicherte Duqaq in seltener Unterwürfigkeit. »Es handelt sich lediglich um eine alte Geschichte, eine Legende von einer Wunderwaffe, der die Christen in ihrem Aberglauben magische Bedeutung beimessen.«
» Eine Wunderwaffe?« Kur-Bagha horchte auf. »Ihr meint, wie das Griechische Feuer?«
»Nein«, widersprach Bahram kopfschüttelnd. »Die Waffe, die ich meine, ist von gänzlich anderer Art. Als Jesus Christus, den wir als den Erlöser verehren, gekreuzigt wurde, da stieß ein römischer Hauptmann einen Speer in seine Seite, um zu prüfen, ob er schon tot sei. Dieser Waffe, die in der gesamten Christenheit als die »Heilige Lanze« bekannt ist, wird große Macht zugeschrieben – und wie gerüchteweise zu hören ist, wurde sie vor etwas mehr als zehn Tagen in der Kathedrale von Antiochia gefunden. Etwa zu diesem Zeitpunkt begann das Läuten der
Weitere Kostenlose Bücher