Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
Bitterkeit verdiene ich nicht. Ich bin dir aus ganzem Herzen dankbar für alles, was du für mich getan hast, aber ich habe dir immer gesagt, dass ich dich nicht liebe.« Sie kämpfte mit den Tränen, und das Kind, das ihre Traurigkeit zu spüren schien, hörte für einen Moment auf zu trinken.
»Ich weiß«, erwiderte Caleb, nun ohne jede Häme, »ich mache dir auch keinen Vorwurf deswegen. Aber ich kann auch nicht zurück, Chaya. Ich habe mein Wort gegeben, und ich muss meinen Beitrag leisten. Gerade du solltest das verstehen.«
»Das tue ich«, versicherte sie.
»Ich habe Kenntnis von meinem Vater. Seine Frau und er haben Antiochia ebenfalls verlassen und sind auf dem Weg hierher, zusammen mit ihren beiden Töchtern. Sollte mir etwas zustoßen, geh zu ihm und bitte ihn auch in meinem Namen um Verzeihung. Mit etwas Glück wird er dich und das Kind, das er für seinen Enkelsohn hält, bei sich aufnehmen.«
Chaya schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten. Alles in ihr sträubte sich dagegen, sich der Gnade ihres Onkels ausliefern zu müssen, aber womöglich würde ihr nichts anderes übrig bleiben, wenn Caleb im Kampf getötet wurde.
»Der Kommandant, dem ich zugeteilt wurde, ist übrigens Armenier und kämpfte bis vor kurzem noch für den Emir von Damaskus«, fügte er hinzu, während er sich wieder zum Gehen wandte. »Er würde dir gefallen.«
»W ieso?«, wollte Chaya wissen.
Ein hintergründiges Lächeln spielte um die milchbärtige Züge ihres Cousins. »Sehr einfach, er ist ein Christ.«
Antiochia
Zur selben Zeit
»W arum nicht, verdammt noch mal?«
Guillaume de Reins Stimme war laut geworden, Ungeduld sprach aus seinen Augen, deren rätselhaftes Grün sich in denen seiner Mutter zu reflektieren schien.
»Du erhebst deine Stimme gegen mich«, stellte Eleanor ohne erkennbare Regung fest. »Das hast du früher nie getan.«
»V erzeiht, Mutter«, erwiderte Guillaume, der sich nur mit Mühe zur Ruhe zwang. »Aber ich bin nicht mehr der Jüngling, der England vor zwei Jahren verlassen hat.«
»Dessen bin ich mir bewusst. Dennoch solltest du nicht vergessen, wer dich hierhergebracht und zu dem gemacht hat, was du bist. Du hast mir viel zu verdanken, Guillaume.«
»Das weiß ich, Mutter«, erwiderte er, jetzt schon ein wenig ruhiger. Die Zornesröte in seinem Gesicht verblasste zu einem zarten Rosa, das eher in die Miene eines eingeschüchterten Knaben passte. »Es ist nur … Ich warte schon so lange auf diese Gelegenheit.«
Eleanor erhob sich von dem mit prunkvollen Arabesken verzierten Stuhl, auf dem sie gesessen und der sich noch vor kurzem im Besitz einer reichen Muslimin befunden hatte. Sie trat auf ihren Sohn zu und nahm sein Gesicht in ihre knochigen Hände. »Glaubst du, das wüsste ich nicht?«, fragte sie, während sie ihn durchdringend aus ihren tief liegenden Augen musterte. »Glaubst du, die Frau, die dich unter Schmerzen in diese Welt geboren hat, wüsste nicht um deine Sehnsüchte und Nöte?«
»V erzeiht, Mutter«, wiederholte er, und anders als vorhin klang es aufrichtig. Er hielt ihrem Blick nicht länger stand und schaute an sich hinab zu Boden.
»Es ist gut, Junge. Ich verstehe deine Ungeduld. Du hast lange gewartet – aber sei versichert, dass die Früchte deiner Geduld nicht mehr fern sind.«
» W irklich?«, er schaute sie an, nicht als der zum Äußersten entschlossene Anführer, als der er sich in der Bruderschaft gebärdete, sondern als ein zerbrechliches, furchtsames Kind.
»Sei unbesorgt. Alles, was wir gemeinsam geplant haben, ist eingetreten, wenn auch anders, als wir es zunächst vorausgesehen haben. Und die Dinge werden sich auch weiterhin zu unseren Gunsten entwickeln, wenn wir nur geduldig abwarten.«
»Ich bin das Warten leid, Mutter, so unendlich leid. Die Monate verstreichen, und ich fürchte, ich werde nie das sein, was du mir versprochen hast.«
»Du bist der geborene Anführer, Guillaume. In deinen Adern fließt edles Blut, und der Tag wird kommen, an dem du alle anderen an Macht und Einfluss weit übertreffen wirst. Das verspreche ich dir, so wahr ich vor dir stehe.«
»Dafür bin ich Euch dankbar«, versicherte Guillaume, während er ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat. »Aber wie soll das vonstatten gehen, wenn ich nur weiter abwarte? Ihr vergesst wohl, dass ich mein Wort verpfändet habe, den Bruder des Königs …«
»Still doch«, fiel sie ihm ins Wort und brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Schweigen. Argwöhnisch blickte
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