Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
seinen Helm ab, um sich zu bekreuzigen. »De Rein stand bereits vor seinem Richter. Wollen wir hoffen, dass er ihm gnädig war.«
Conn hörte zu und wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte nicht nur de Reins Herrschsucht und Grausamkeit kennengelernt, sondern eine Zeitlang auch in dessen Gunst gestanden. Dennoch hatte er nicht das Gefühl, dem Baron etwas schuldig zu sein, und aus seiner Sicht wäre es Heuchelei gewesen, den Herrn um sein Seelenheil zu bitten. Im Lauf seines Lebens hatte Renald de Rein unzählige Sünden auf sich geladen, nun hatte ihn die Last dieser Sünden ereilt. Für Conn war viel bedeutsamer, welche Folgen sich aus de Reins Tod ergaben.
»Dann wird Guillaume der neue Baron. Das heißt, dass er noch mehr Macht und Einfluss gewinnt«, sagte Conn.
»So ist es«, stimmte Bertrand zu, »deshalb gibt es Gerüchte, die besagen, dass der Baron nicht ganz zufällig aus dem Leben geschieden ist. Einige seiner Leute haben Guillaume im Verdacht, dabei ein wenig nachgeholfen zu haben. Andere verdächtigen Renalds Ehefrau Eleanor … Vielleicht sollten wir unseren Freund Berengar fragen.«
»W as meinst du damit?«, erkundigte sich Conn.
»Berengar hat die Totenmesse gelesen, als man den Baron gestern beisetzte. Wie es heißt, steht er der Baronin nahe.«
Diese Nachricht erregte Conn ungleich mehr als die Nachricht von de Reins plötzlichem Ableben. Was, in aller Welt, hatte Berengar mit den de Reins zu schaffen? Conn ahnte, dass es auf diese Frage nur eine Antwort gab.
Er erinnerte sich deutlich an die Worte Bischof Adhémars, der sich vor den Sektierern um Guillaume de Rein gefürchtet hatte. Was, wenn Berengar deren Nähe gesucht hatte, um doch noch die Möglichkeit zu bekommen, nach der verschollenen Lade zu suchen? Und was, wenn sich Renald de Rein dabei schlicht als Hindernis erwiesen hatte? Conn war sicher, dass G uillaume auch nicht vor Vatermord zurückschreckte, um in den Besitz eines solch kostbaren Schatzes zu gelangen.
Der Gedanke entsetzte ihn so sehr, dass Baldric es ihm ansah.
»Alles in Ordnung, Junge?«
»Natürlich.«
»W as denn?«, feixte Bertrand. »Du wirst dem alten de Rein doch nicht etwa nachweinen, nachdem er dich öffentlich verprügeln ließ und dir um ein Haar das halbe Augenlicht genommen hätte?«
»Das ist es nicht.« Conn schüttelte den Kopf, während sich die Gedanken in seinem Kopf eine wilde Jagd lieferten.
Das Buch von Ascalon.
Das Siegel Salomons.
Die Bundeslade.
Conn spürte plötzlich die Last der Verantwortung auf seinen Schultern und bekam eine Ahnung davon, wie Chaya sich gefühlt haben musste. Sein prüfender Blick glitt von seinem Adoptivvater zu Bertrand – und er beschloss, dass es Zeit war, sein Schweigen zu brechen.
Guillaume de Rein machte kein Hehl aus seinen Empfindungen. Einem Spiegel gleich gaben seine Züge all die Empfindungen wieder, die er in diesen Augenblick in seinem Innersten hegte.
Genugtuung, Habgier, Stolz – und ein Verlangen nach Macht, wie er es noch nie zuvor empfunden hatte, wohl weil er der Verwirklichung all seiner Träume noch nie so nahe gewesen war.
Nicht nur, dass jener grässliche Mensch, der sich sein Vater genannt und ihn sein Leben lang gehemmt hatte, endlich gestorben war; was seine Mutter und der Mönch Berengar ihm soeben eröffnet hatten, übertraf alles, was er sich je erhofft und erträumt hatte!
»V erstehst du jetzt, weshalb die Schriftrolle für uns so wich t ig ist, Sohn?«, fragte Eleanor, die in ihrem fließenden Gewand einmal mehr wie ein bleicher Todesengel aussah. Eustace hielt sich hinter ihr, wie immer stumm wie ein Schatten, neben ihr stand der Benediktinermönch, die Kapuze seines Gewandes herabgezogen, so als wollte er Guillaume nicht ins Gesicht sehen.
»Ja«, bestätigte er, »ich verstehe es – auch wenn ich es noch immer kaum glauben kann.«
»Es ist die Wahrheit, Herr«, versicherte Berengar. »Die Lade des Bundes ist in Jerusalem – und demjenigen, der sie findet, winkt reicher Lohn.«
Guillaume nickte. Obwohl er nicht daran glaubte, dass jenem Gegenstand göttliche Kräfte innewohnten, zweifelte er nicht daran, dass die Macht, die von ihm ausging, groß, ja beinahe unermesslich war. Antiochia hatte gezeigt, welche Euphorie der Fund eines einzelnen Speers auszulösen vermochte – um wie vieles mehr würden die Kreuzfahrer da auf eine Reliquie reagieren, die doch um so vieles größer und eindrucksvoller war? Demjenigen, der sie recht für sich einzusetzen wusste, würde
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