Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
und Auswahl, wie Conn sie nie für möglich gehalten hätte: Stoffe in seltenen Farben und Felle von Tieren, die er nie zuvor gesehen hatte, dazu Töpferwaren, Körbe, Schleifsteine, Werkzeuge und andere Gegenstände des täglichen Gebrauchs; sorgfältig gearbeitete Waren aus Leder und Speckstein sowie Gefäße aus buntem Glas; und schließlich Wein und Gewürze, die eigenartigen Duft verströmten und eine erste Ahnung von j ener Fremde verbreiteten, in die die Männer im Begriff waren aufzubrechen.
Wie sich zeigte, waren Baldric und seine Schar bei Weitem nicht die einzigen, die nach Rouen gekommen waren, um sich dem Zug ins Heilige Land anzuschließen. Auch aus anderen englischen Städten waren Freiwillige eingetroffen, dazu kamen Dänen, Flamen, fränkische Söldner und viele mehr – ein unvorstellbares Durcheinander aus verschiedenen Haut- und Haarfarben, Kleidern, Rüstungen und Sprachen. Dennoch gelang es Baldric irgendwie, in einer Taverne im Herzen der Stadt eine Unterkunft zu besorgen, und zum ersten Mal in seinem Leben schlief Conn in einem gemauerten Haus.
Anfangs konnte er kein Auge zutun und kam sich vor wie lebendig begraben, aber schon nach kurzer Zeit hatte er sich daran gewöhnt. Baldric begann damit, ihn in die Pflichten einzuweisen, die ihm als seinem Diener zukommen würden. Dazu gehörte neben dem Besorgen von Proviant und anderen Dingen auch das Reinigen und Instandsetzen seiner Ausrüstung, die sich in einem schlechten Zustand befand. Helm und Kettenhemd hatten Rost angesetzt, Untergewand und Gurtzeug mussten an vielen Stellen ausgebessert werden. Zwar war Conn weder ein Schmied noch ein Sattler, aber er hatte hin und wieder zugesehen, wenn die Handwerker in London ihrer Arbeit nachgegangen waren, und so gab er sein Bestes – wobei es nicht selten vorkam, dass Baldric ihm das Werkzeug abnahm und selbst Hand anlegte. Im Gegenzug zu den Diensten, die er für ihn leistete, unterrichtete Baldric Conn in der französischen Sprache und brachte ihm bei, ein Schwert zu führen, auch wenn es vorerst nur stumpf und aus Holz geschnitzt war.
Da der Normanne nur selten über sich sprach, war Conn auf Vermutungen angewiesen, was seinen neuen Herrn betraf. Aus dem wenigen, das er in Erfahrung gebracht hatte – das meiste hatte er von Bertrand aufgeschnappt –, schloss er, dass Baldric ein normannischer Edler war, wenn auch von gerin g em Rang und entsprechend schwach begütert. Ein eigenes Lehen schien er nicht zu haben, sein Pferd und sein Sattel waren, von Rüstung und Waffen abgesehen, seine einzigen Besitztümer. In der Tat machte er den Eindruck von jemandem, der den weltlichen Dingen entsagt und sich Höherem zugewandt hatte.
Wenn andere Normannen, allen voran der feiste Bertrand, ihr Geld in den Tavernen für Wein und Bier ausgaben, war Baldric ebenso wenig dabei wie dann, wenn sie es in die Freudenhäuser trugen, um – so nannten sie es – ein letztes Mal zu sündigen, ehe der große Ablass ihnen alles verzieh. Auch schienen die Beweggründe seines Handelns andere zu sein als die der übrigen Freiwilligen, die aus England gekommen waren. Während die meisten von Abenteuerlust getrieben waren und sie die Aussicht auf reiche Beute mindestens ebenso lockte wie jene auf das Himmelreich, ging es Baldric offenbar wirklich darum, sein Seelenheil wiederzufinden, das ihm irgendwo auf der Reise seines Lebens abhanden gekommen war. Was seine Vergangenheit betraf, hüllte sich der Normanne in Schweigen, aber hin und wieder, wenn er sich unbeobachtet glaubte, sah Conn, wie sich düstere Schatten auf seine Züge legten. In solchen Momenten erweckte der Normanne den Anschein, nicht weniger von den Geistern der Vergangenheit gejagt zu werden als Conn selbst.
Mit jedem Tag, den sie länger in Rouen weilten, fanden sich mehr Kreuzfahrer ein. Die Straßen füllten sich ebenso wie die Tavernen, sodass die Stadt schließlich aus allen Nähten zu platzen drohte und die Neuankömmlinge vor den Toren lagern mussten. In den Herbergen hieß es, eng zusammenzurücken, und nicht selten kam es vor, dass sich zwei Kämpfer ein Lager teilten und es abwechselnd während der ersten und zweiten Nachthälfte nutzten.
Viele, die in die Stadt kamen, fassten Proviant und ergänzten ihre Ausrüstung, sodass Pökelfleisch und Rüstzeug schon bald Mangelware waren und zu hohen Preisen gehandelt wur d en. Einige der Männer behalfen sich, indem sie ihr Glück beim Würfeln versuchten, sodass an vielen Feuern gespielt wurde, was
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