Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
nickte knapp, dann stand er auf.
»He«, knurrte Baldric. »W o willst du hin?«
»Nach draußen.«
»Und der Schild?«
Conn gab ihm das schwere Stück, und der Normanne nahm es mit prüfendem Blick in Augenschein. »Gute Arbeit«, lobte er schließlich. »W ie immer.«
»Also bin ich für heute entlassen?«
»Natürlich«, entgegnete Baldric ein wenig zögernd, so als w äre Conns innerer Aufruhr ihm nicht verborgen geblieben. »Aber entferne dich nicht zu weit, hörst du?«
Baldrics einzelnes Auge musterte ihn, und Conn beschlich wieder einmal das Gefühl, dass der Normanne damit mehr und tiefer sehen konnte als andere mit zweien. »Sieh dich vor, Conwulf, hörst du? Nicht alle Streiter im Heere Christi sind vom gleichen guten Willen beseelt. Wo viel Licht, ist auch Schatten. Zudem bist du das Leben in steinernen Städten nicht gewohnt. Halte dich von dunklen Gassen fern.«
»Ich verstehe, Herr«, versicherte Conn. Er nickte Baldric und den anderen zu und wandte sich zum Ausgang, den zu erreichen alles andere als einfach war. Die Taverne war zum Bersten mit Soldaten und Knappen gefüllt, die sich an den Tischen drängten und ihre Unruhe mit Würfelspielen und schäumendem Bier bekämpften. Die Luft war stickig, sodass Conn froh war, als er endlich die Tür aufstieß und ins Freie trat – obwohl auf der Straße kaum weniger Betriebsamkeit herrschte.
Zwar stand der Mond längst am Himmel, doch das Leben in der Stadt wollte keinen Augenblick lang innehalten. Nicht nur die Tavernen, auch die Läden waren weiterhin geöffnet, und im Licht von Fackeln und Laternen wurde weiter gefeilscht und verhandelt. Zumindest die Schankwirte, Handwerker und Kaufleute von Rouen, dachte Conn, hatten bei diesem Feldzug schon gewonnen.
Im Bemühen, einen ruhigen Platz zu finden, wo er seine Gedanken ordnen konnte, ließ er sich vom Strom der Passanten mitreißen. Im Gefolge einer Gruppe dänischer Söldner, die ihre runden Schilde auf dem Rücken trugen, gelangte er auf einen von hohen Häusern umlagerten Platz, der von Fackelschein beleuchtet wurde und in dessen Mitte es einen erhöhten, von Natursteinen ummauerten Brunnen gab. Kämpfer, die kein Obdach mehr gefunden hatten, aber auch nicht außerhalb der Stadt kampieren wollten, lagerten auf den Stufen, zusammen mit einigen Knechten und Dienern.
A uf der Ummauerung des Brunnens jedoch stand weithin zu sehen ein blasshäutiger Mann mit einer Habichtsnase und kurzem rotblonden Haar, in das eine Tonsur geschoren war. Die schwarze Kutte mit den weiten Ärmeln und der spitz zulaufenden, zurückgeschlagenen Kapuze wies ihn als Angehörigen des Benediktinerordens aus. Helle Erregung sprach aus seinen Augen, seine hohlen Wangen waren von Eifer gerötet, während er mit lauter Stimme rief: »Hört mich an! Ihr alle, die ihr euch auf den Weg begeben wollt, um das Grab Christi aus den Händen der Ungläubigen zu befreien! Hört mich an!«
Seine Stimme, die einen sonderbar harten Akzent aufwies, war laut genug, um auch in den letzten Winkel des Platzes zu dringen, und sie hatte etwas an sich, dem Conn sich nicht entziehen konnte. Vielleicht war es aber auch nur die Begeisterung des Mönchs, die ihn wie viele andere dazu bewog, den Worten des Mannes zu lauschen. Überall auf dem Platz unterbrachen die Leute ihre Tätigkeiten. Gespräche verstummten, Geld hörte auf zu klimpern, Würfel blieben in den Bechern.
»Ihr alle, die ihr euch hier versammelt habt«, fuhr der Ordensmann fort, »seid dem Aufruf seiner Heiligkeit des Papstes gefolgt, der seine vielgeliebten Brüder dazu aufgefordert hat, die Pilgerwege zu sichern und das Heilige Land den Klauen jener zu entreißen, die es widerrechtlich an sich genommen haben!«
Zustimmung wurde hier und dort bekundet, Fäuste reckten sich triumphierend in den sternklaren Himmel.
»Aber wusstet ihr auch, meine Brüder, dass der Herr selbst seine Zeichen geschickt hat?«, fragte der Mönch in die Menge. Beifall heischend ließ er seinen Blick über die Männer und Frauen schweifen, und Conn hatte das Gefühl, dass er auch auf ihm einen Moment lang ruhte. Eine seltsame Stimmung erfasste ihn. Zusammen mit der Unruhe, die ihn seit Tagen erfüllte, und seiner noch immer schwelenden Trauer verband sie sich zu einer eigenartigen Melancholie, die ihn in seinen G edanken innehalten ließ und ihn dazu zwang, den Worten des Predigers zu lauschen.
»W as für Zeichen?«, fragte jemand aus der Menge.
»Zeichen von großer Macht und noch größerer
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