Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
beunruhigte.
»Es geht«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Der gute Remy ist ein treuer Geselle«, suchte Bertrand ihn aufzumuntern, »aber so feinfühlig wie der Hund eines Henkers, richtig?«
» Richtig«, bestätigte Conn mit einem freudlosen Grinsen.
Sie gingen durch das Lager, vorbei an müde aussehenden Männern, die um kleine Feuer saßen und karge Mahlzeiten kauten. Mit dem Untergang der Sonne war es merklich kühler geworden. Wind wehte von den nahen Bergen her. In den Senken hatte sich Nebel gebildet, der sich in zähen Schwaden ausbreitete und in das Lager kroch. Vor dem Hintergrund der knorrigen Bäume, die bereits begonnen hatten, ihr Laub abzuwerfen, und den flackernden Schatten der unzähligen Feuer entstand eine bedrückende Stimmung, die sich rasch ausbreitete. Nirgendwo wurde gesungen oder auch nur ein lautes Wort gesprochen. Das ganze Lager schien unter einer Haube aus Nebel und Dunkelheit zu versinken, der Welt und ihrer Zeit entrückt.
»Eine düstere Gegend ist das hier. Kein Wunder«, beschwerte sich Bertrand und kreuzte die Arme vor der Brust, um sich zu wärmen.
»Kein Wunder? Was meinst du damit?«
»Diese Stadt dort unten«, erklärte Bertrand, nach der Ostseite des Lagers deutend, »ist Vienne.«
Conn hob die Brauen. »Und?«
Einmal mehr rollte der untersetzte Normanne mit den Augen und fuhr sich durch das wirre Haar. »Du meine Güte! Wo hast du nur dein bisheriges Leben verbracht?«
»Auf der Straße«, erwiderte Conn wahrheitsgemäß.
»Dann wundert mich nichts. So höre denn, unwissender Conwulf, dass Vienne die Heimatstadt jenes Pontius Pilatus gewesen ist, der Statthalter in Judäa war, gerade zu der Zeit, als unser Herr Jesus dort wirkte – und unter dessen Herrschaft er grausam hingerichtet wurde.«
Conn schluckte sichtbar. Zwar konnte er nicht lesen und war folglich auch nicht in der Lage, die Bibel zu studieren. Er hatte jedoch oft genug den Worten von Wanderpredigern und Laienbrüdern gelauscht, die nach London gekommen waren, um dem einfachen Volk von den Wohltaten Christi zu berichten, von seinem Sterben und seiner Auferstehung. Und n atürlich wusste er auch, welche Rolle Pilatus dabei gespielt hatte, jener ebenso eitle wie schwache Römer, der sich die Hände in Unschuld gewaschen hatte. Aber dass er selbst sich just an jenem Ort befinden sollte, von dem Pilatus stammte, ließ die Ereignisse viel unmittelbarer erscheinen. Unwillkürlich fragte sich Conn, wie es sich erst verhalten mochte, wenn er das Heilige Land betrat, das doch der Schauplatz all dieser wunderbaren Begebenheiten gewesen war.
»W ie es heißt, soll Pilatus später in seine Heimatstadt zurückgekehrt sein, aber er fand keinen Frieden mehr. Es wird behauptet, dass er Vienne verließ und in den Bergen ein karges Dasein fristete, wo er schließlich einen einsamen Tod starb. Jene Erhebung dort«, fügte Bertrand hinzu, auf einen schwarzen Bergrücken deutend, der im Nebel und gegen den dunkelnden Himmel kaum auszumachen war, »trägt daher seinen Namen.«
Conn schauderte insgeheim. »W oher weißt du das alles?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.
»W oher wohl? Aus Büchern«, erklärte der Normanne, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. »Kannst du etwa nicht lesen?«
»Natürlich nicht.« Conn schüttelte den Kopf.
»Daran ist überhaupt nichts Natürliches. Womöglich wäre es um diese Welt besser bestellt, wenn mehr Menschen des Schreibens und Lesens mächtig wären und so aus den Fehlern der Vergangenheit lernen könnten. Denn es gibt viele Bücher, Conwulf, nicht nur jene, in denen die Wundertaten unseres Herrn aufgeschrieben sind, sondern auch solche aus alter Zeit, Bücher der Geschichte, die in den Bibliotheken der Klöster aufbewahrt werden.«
»Ich verstehe«, behauptete Conn.
»W illst du es lernen?«, fragte Bertrand unvermittelt.
»W as lernen?«
»Lesen natürlich, Dummkopf. Ich könnte es dich lehren.«
»Danke, aber ich habe schon an Herrn Baldrics Lektionen zu tragen.«
» Er nimmt dich hart ran, und das ist gut so, denn in der Schlacht gibt es keine barmherzigen Gegner, noch dazu, wenn man gegen Sarazenen kämpft. Aber so wie die Dinge liegen«, sagte Bertrand mit Blick auf Conns Arm, »wirst du deine Schwertübungen wohl für eine Weile aussetzen müssen – und diese Zeit könntest du nutzen, indem du lesen und schreiben … Sag mal, du Ochse, hörst du mir überhaupt zu?«
Die Frage war berechtigt, denn Conn war plötzlich
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