Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
schloss die Augen. » Er ist tot. «
Der Dolch lag gut in Sinaidas Hand. Sie konnte die Maserung des hölzernen Griffes spüren, das kalte Metall der Klinge. Einen Moment lang stand sie reglos an den Pfahl gelehnt, dann sank sie in die Hocke. Sie hatte es längst geahnt.
Die Klinge züngelte durch das Leder, dann war sie frei.
» Es … es tut mir Leid «, stammelte Doquz erneut. » Du musst mir glauben. «
Sinaida kauerte am Boden. Die Nacht presste von allen Seiten auf sie ein, so als wäre die Dunkelheit selbst ihr Gefängnis, nicht diese Jurte, nicht einmal das Lager. Eine Dunkelheit, die sie fortan nicht mehr loslassen würde.
» Wie ist es geschehen? «
» Ein Überfall. «
Sinaida lachte bösartig auf. » Ein Überfall! «
» Es passierte, kurz bevor sie das Ende der Großen Horde erreichten. Einer der niederen Stammesführer … er hat ein paar andere aufgestachelt. «
Sinaida sagte nichts und starrte den Dolch in ihrer Hand an, ohne ihn wirklich wahrzunehmen.
Doquz ’ Tonfall wurde verteidigend. » Alle diese Männer hatten Freunde verloren durch die Klingen der Nizaris. Du kannst ihnen keinen Vorwurf machen, dass sie Khur Shah gehasst haben. «
» Keinen Vorwurf? « Sinaidas linke Hand schoss vor und packte Doquz ’ Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. Ihr Blick bohrte sich in die dunklen Augen ihrer Schwester. » Sie haben meinen Mann ermordet. Den Mann, den ich geliebt habe. «
» Du hast ihn geheiratet, damit der Krieg ein Ende hat. Du kanntest ihn kaum. «
» Wir haben uns geliebt. « Sinaida betonte jedes einzelne Wort.
Doquz schüttelte abermals den Kopf. Sinaidas Hand löste sich von ihrem Kinn. » Du musst fliehen. «
» Nein. «
» Shadhan fordert deinen Tod. «
» Shadhan … Wie konnte er so schnell so große Macht über Hulagu erlangen? «
» Seine Worte sind weise, sagt Hulagu, und sein Rat ist gut. «
» So wie der, mich hinzurichten? Oder Khur Shah ermorden zu lassen? «
» Er sagt, du hättest versucht, uns zu vergiften. « Doquz ’ Finger zuckten vor und legten sich auf Sinaidas Lippen. » Ich weiß, dass das eine Lüge war. Aber Hulagu glaubt ihm. Shadhan hat ihm versprochen, das ganze Wissen der Nizaris mit ihm zu teilen, alle Geheimnisse der Bibliothek von Alamut. Kampfkunst, Kriegsstrategien … Das ist alles, was im Augenblick noch für Hulagu zählt. Er ist besessen davon, das Kalifat der Abbasiden zu stürzen. «
» Bagdad! «
» Ja, Bagdad. So lautet der Auftrag des Großkhans. Die Große Horde bricht in den nächsten Tagen auf. Das ganze Lager is t i n Aufruhr. Hulagu plant, so schnell wie möglich nach Süden zu ziehen und die Truppen in den Ebenen östlich von Bagdad zu sammeln. Er will keinen endlosen Heerzug mehr, sondern eine geballte Armee aus hunderttausenden von Kriegern, die die Stadt von allen Seiten zugleich angreift. «
» Und Shadhan hat ihm eingeredet, er werde leichtes Spiel haben? «
» Shadhan behauptet, er kenne Bagdad und den Kalifen gut. Vor allem aber wisse er, wie die Abbasiden die Stadt verteidigen werden. «
» Was die Verteidigungsstrategie angeht, so mag er Recht haben. Shadhan hat mehr gelesen als irgendein anderer Mensch. Vielleicht weiß er wirklich, wie die Stadt eingenommen werden kann. « Sie wollte nicht an ihn denken, versuchte in ihren Gedanken immer wieder das Bild des verfluchten Nizarigelehrten durch das von Khur Shah zu ersetzen. Sie hatte sieben Tage lang um ihn getrauert; seit ihrer Gefangennahme war kein Augenblick vergangen, in dem sie nicht gespürt hatte, dass Khur Shah verdammt war. Es musste kurz nach ihrem Besuch im Garten geschehen sein. Sie hatte ihn dort vielleicht nur knapp verfehlt. Sie war sicher, dass er seinen Schwur hielt. Er wartete dort auf sie, auch jetzt, in diesem Augenblick. Doch der Zugang war versperrt, denn Shadhan hatte den Rest des Fluidums vernichtet. Also musste sie einen anderen Weg finden – einen Weg, Khur Shah wiederzusehen, zugleich aber auch am Leben zu bleiben, um Rache an dem Verräter zu nehmen.
» Wo ist Shadhan jetzt? «, fragte sie.
Doquz sah sie erschrocken an. » Ich habe dich befreit, damit du davonlaufen kannst – nicht um dir deine Rache an Shadhan zu ermöglichen. Er wird streng bewacht, du würdest niemals bis zu ihm vorstoßen. Flieh von hier, Sinaida! Du musst dich beeilen. Der Wächter vor dem Zelt wird schweigen. «
Sinaida deutete auf die Ledertür am Ausgang. » Steht er jetzt dort draußen? «
» Ja. «
» Hulagu wird ihn töten lassen. «
»
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