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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie keinem der Feuer zu nahe kam, würde niemand bemerken, dass sich unter dieser Maskerade die Schwägerin des Il-Khans verbarg.
    Das Tal machte vor ihr einen scharfen Knick nach rechts. Der Großteil des Lagerwurms erstreckte sich in östliche Richtung. Anhand der Sterne stellte sie sicher, dass sie nach Süden lief. Auf diesem Weg würde sie am schnellsten an einen der Ränder gelangen.
    Wieder ertönten die Hornstöße.
    Sie bog um die Felskehre und konnte in einiger Entfernung das Ende des Lagers erkennen. Dort brannten in einer langen Linie die Feuer der Wachtposten. Im Schein der Flammen konnte Sinaida zahlreiche Männer ausmachen, schemenhaft und glutfarben angeleuchtet.
    So weit draußen gab es kaum noch Jurten und Zelte. Stattdessen befanden sich hier die Pferdekoppeln, kaum eine umzäunt oder mit Seilen gesichert. Sinaida hatte vorgehabt, eines der Tiere zu stehlen und damit durch die Reihe der Wachtposten zu brechen. Jetzt aber änderte sie ihren Plan.
    Mit weit ausgestreckten Armen lief sie in die Herde hinein, bis auch das letzte Tier erwacht war. Schnauben und Wiehern erhob sich aus dem dicht gedrängten Pulk. Die Wachtposte n b emerkten die Unruhe. Da Sinaidas Entdeckung ohnehin kurz bevorstand, konnte sie ihr ebenso gut zuvorkommen: Mit schrillen Pfiffen und Rufen begann sie, die Pferde vor sich her zu treiben.
    Die Tiere liefen nicht in eine Richtung, sondern alle durcheinander. Schon erklangen neuerliche Hornstöße, diesmal von den Feuern direkt in der Nähe. Die Männer riefen Unterstützung herbei.
    Noch war Sinaida inmitten der Pferde unsichtbar. Nicht die Männer waren im Augenblick die größte Gefahr, sondern die Tiere: Sie musste ungemein Acht geben, nicht von ihnen niedergetrampelt zu werden. Dutzende Rösser drängten sich auf engstem Raum, bald würde ihre Nervosität auf Hunderte weitere überspringen. Sie wieherten und bockten, während ihre Hufe über den felsigen Boden dröhnten.
    Die ersten Pferde galoppierten auf die Linie der Wachtposten zu, preschten durch die Lücken zwischen den Feuern und sprengten hinaus in die Nacht. Das Donnern der Hufe wurde von den hohen Felswänden zurückgeworfen. Falls noch immer in die Hörner gestoßen wurde, so ging ihr Klang im Lärm unter. Befehle wurden gebrüllt, doch von niemandem mehr verstanden.
    Sinaida klammerte sich seitlich an einen schwarzen Hengst, ein Bein über seinem Rücken, eine Hand an der Mähne, die andere am Zaumzeug. Andere Tiere streiften sie und drohten sie mit sich zu reißen, doch es gelang ihr, sich festzuhalten. Ähnliche Kunststücke hatte sie während unzähliger Wettkämpfe in der Steppe erprobt.
    Die Mütze wurde ihr vom Kopf gerissen, ihr Zopf wirbelte im Wind. Ein Wächter zeigte auf sie, andere entdeckten sie ebenfalls. Dann war der Hengst bereits an ihnen vorüber und galoppierte inmitten der aufgebrachten Stampede durch die Schlucht nach Süden.
    Reiter nahmen die Verfolgung der ausgebrochenen Herd e a uf. Sinaida sah sie vor den Feuern, als sie über ihre Schulter blickte und sich auf den Rücken des Hengstes zog.
    Die Kluft zwischen den Felsen wimmelte von trampelnden Pferden. Erst nach einer Weile begann sich die panische Menge zu verlieren. Viele blieben zurück, andere brachen in die verästelten Seitenarme der Felsentäler aus.
    Als sich endlich die Morgenröte über den Gipfeln zeigte, waren Sinaida und ihr Hengst allein unterwegs. Ihr war klar, dass sie Hulagus Männer nicht abgeschüttelt hatte. Irgendwo in ihrem Rücken trieben die Verfolger ihre Pferde zu noch größerer Eile an. Aus Erfahrung wusste sie, dass es mindestens zehn waren, vielleicht sogar mehr, die Hulagu auf ihre Fährte gesetzt hatte. Turgauden, wahrscheinlich. Ganz sicher sogar.
    Der Hufschlag des Hengstes hallte von schroffen Steilwänden wider. Ein erster Sonnenstrahl stach über die zerklüfteten Kuppen und ließ eine Felsformation vor ihr in überirdischem Licht erstrahlen; einen Augenblick lang sah das Gebilde aus wie die Türme einer fernen Stadt. Im Näherkommen wurde wieder karges Gestein daraus, doch es brauchte keinen Schamanen dazu, das Omen zu deuten.
    Adler stürzten sich bei Tagesanbruch aus ihren Berghorsten in die Tiefe, kreisten vor dem lodernden Himmel oder fegten die Hänge herab auf der Jagd nach Beute. Außer den Nizaris hatte es hier seit vielen Jahrzehnten keine Menschen gegeben. Jetzt gab es nicht einmal mehr sie.
    Sinaida weinte, während das Pferd sie südwärts trug. Sie hatte einen Weg eingeschlagen, auf

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