Das Chagrinleder (German Edition)
Geschichte des Königs von Böhmen und ...«: 1830 erschienene Erzählung von Charles Nodier (1780-1844)] dieses reizenden Entwurfs ...«
»Was?« rief der Krittler vom andern Ende der Tafel »das sind hohle Phrasen, auf gut Glück aus dem Hutfutter herausgezogen, ein Machwerk für die Irren in Charenton.« [Fußnote: Charenton : Irrenanstalt in der Nähe von Paris] »Sie sind ein Hohlkopf!«
»Sie sind ein Narr!«
»Oh, oh!«
»Ah, ah!«
»Sie werden sich schlagen.«
»Nein.«
»Auf morgen, Monsieur.«
»Nein, sofort«, erwiderte Nathan.
»Los doch! Ihr seid zwei mutige Streiter.«
»Sie sind auch einer«, sagte der Herausforderer.
»Sie können sich nur nicht mehr gerade halten.«
»Wie, halte ich mich etwa nicht gerade?« rief der kampfeslustige Nathan, indem er sich schwankend wie ein Papierdrache erhob.
Er warf einen stumpfsinnigen Blick auf den Tisch; dann fiel er, wie entkräftet von dieser Anstrengung, in seinen Stuhl zurück, ließ den Kopf hängen und verstummte ganz.
»Wäre es nicht spaßhaft«, sagte der Nörgler zu seinem Nachbarn, »mich wegen eines Buches zu schlagen, das ich weder gesehen noch gelesen habe?«
»Emile, nimm deinen Rock in acht, dein Nachbar wird ganz blaß.«
»Kant, Monsieur? Auch so ein Ballon, den man aufsteigen ließ, um die Flachköpfe zu amüsieren. Materialismus und Spiritualismus, das sind zwei hübsche Rackets, mit denen Scharlatane in Roben denselben Ball schlagen. Ob Gott in allem sei, wie Spinoza sagt, oder ob alles von Gott kommt, wie Sankt Paulus sagt ... Dummköpfe! Eine Tür öffnen oder schließen, ist das nicht dieselbe Bewegung? Kommt das Ei von der Henne oder die Henne vom Ei? (Reichen Sie mir mal den Entenbraten!) Das ist die ganze Wissenschaft.«
»Einfaltspinsel! rief ihm der Gelehrte zu, »die Frage, die du stellst, ist durch ein Faktum entschieden.«
»Welches?«
»Sind die Lehrstühle der Professoren für die Philosophie da oder aber die Philosophie für die Lehrstühle? Setz deine Brille auf und lies das Budget.«
»Spitzbuben!«
»Schafsköpfe!«
»Gauner!«
»Narren!«
»Wo anders als in Paris fände man einen so lebhaften und zügigen Gedankenaustausch«, rief Bixiou mit feierlichem Baß.
»Komm, Bixiou, führe uns mal eine klassische Posse vor. Los, improvisiere etwas!«
»Soll ich euch das 19. Jahrhundert vorführen?«
»Hört zu!«
»Ruhe!«
»Legt euren Mäulern Dämpfer an!«
»Wirst du den Mund halten, du komischer Kauz!«
»Gebt ihm Wein, damit das Kind Ruhe gibt!«
»Also los, Bixiou!«
Der Künstler knöpfte seinen schwarzen Rock bis zum Kragen zu, zog seine gelben Handschuhe an und fing an, mit schielenden Augen die ›Revue des Deux Mondes‹ [Fußnote: » Revue des Deux Mondes «: 1829 gegründete Kulturzeitschrift. Die Anspielung bezieht sich auf ihren damaligen Besitzer und Leiter, François Buloz, der seines Schielens wegen Gegenstand allgemeinen Spottes war] zu parodieren. Aber der Lärm übertönte seine Stimme, und es war unmöglich, ein einziges Wort seiner Spötterei zu vernehmen. Wenn er auch nicht das Jahrhundert darstellte, so veranschaulichte er doch die ›Revue‹, denn er verstand sich selbst nicht.
Das Dessert war wie durch Hexerei aufgetragen worden. Auf dem Tisch prunkte ein riesenhafter Tafelaufsatz aus vergoldeter Bronze, aus den Werkstätten Thomires. Hohe Figuren, denen von einem berühmten Künstler die in Europa anerkannten Formen des Schönheitsideals verliehen worden waren, stützten und hielten Büschel von Erdbeeren, von Ananas, frischen Datteln, gelben Trauben, rosigen Pfirsichen, Orangen, die mit dem Schiff aus Setubal gekommen waren, mit Granatäpfeln, Früchten aus China, kurz, allen Überraschungen des Luxus, Wundern an Konfekt, den leckersten Delikatessen, den verlockendsten Leckerbissen. Die Farben dieser kulinarischen Gemälde wurden noch gehoben durch den Glanz des Porzellans, mit seinen funkelnden goldenen Ornamenten und schön geschwungenen Rändern. Anmutig wie die Schaumkämme des Ozeans, grün und leicht, krönte süße Creme Landschaften von Poussin, die in Sèvres kopiert worden waren. Ein deutsches Fürstentum hätte nicht hingereicht, diesen vermessenen Aufwand zu bezahlen. Silber, Perlmutter, Gold, Kristall waren noch einmal in neuen Formen verschwendet; aber die benebelten Blicke und der fiebrige Wortschwall des Rausches gestatteten den Gästen kaum, diese eines orientalischen Märchens würdige Feenpracht auch nur vage wahrzunehmen. Die Dessertweine verbreiteten
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