Das Chagrinleder (German Edition)
bereithielten und nun wie eine Schar orientalischer Sklavinnen auf Befehl des Händlers herbeigekommen waren, um mit dem Tagesgrauen wieder zu verschwinden. Sie blieben wortlos, verschämt und drängten sich dicht um den Tisch, wie Bienen in einem Bienenkorb. Diese scheue Verlegenheit, Vorwurf und Koketterie zugleich, war entweder berechnete Verführung oder unwillkürliche Scham. Vielleicht riet ihnen ein Gefühl, das die Frau niemals ganz abstreift, sich in den Mantel der Tugend zu hüllen, um das verschwenderische Laster noch reizvoller, noch verlockender zu machen. Es schien zunächst, als ob die vom alten Taillefer angestiftete Verschwörung scheitern sollte. Diese zügellosen Männer wurden anfangs von der majestätischen Macht bezwungen, die der Frau eigen ist. Bewunderndes Murmeln ertönte wie sanfte Musik. Die Liebe hatte mit der Trunkenheit nicht mithalten können; anstatt einem Orkan der Leidenschaft überließen sich die Gäste, die in einem Moment der Schwäche überrascht worden waren, den Wonnen wollüstiger Verzückung. Beim Anruf der Poesie, dem Künstler immer gehorchen, studierten sie genießerisch die zarten Abstufungen, die diese erlesenen Schönheiten unterschieden. Einem Gedanken nachgehend, der vielleicht von der dem Champagner entsteigenden Kohlensäure herrührte, sann ein Philosoph schaudernd über das Unglück nach, das diese Frauen hier zusammengebracht haben mochte, die vielleicht ehemals reinster Huldigungen würdig waren. Gewiß hatte jede von ihnen ein blutiges Drama zu erzählen. Fast alle schleppten sie höllische Qualen mit sich und hatten treulose Männer, gebrochene Schwüre, mit Elend erkaufte Freuden hinter sich. Die Gäste näherten sich ihnen höflich, und Unterhaltungen, ebenso verschiedenartig wie die Charaktere, entspannen sich. Gruppen bildeten sich. Man hätte gemeint, einen Salon der guten Gesellschaft vor sich zu haben, in welchem Mädchen und Frauen den Gästen nach Tisch Kaffee, Zucker und Liköre anbieten, die übermäßigen Essern eine widerstrebende Verdauung erleichtern. Bald jedoch erscholl Gelächter, das Murmeln schwoll an, die Stimmen erhoben sich. Die für einen Augenblick gezähmte Orgie drohte hie und da wieder loszubrechen. In diesem Wechsel von Stille und Lärm lag eine entfernte Ähnlichkeit mit einer Symphonie von Beethoven.
Die beiden Freunde, die sich auf einem weichen Diwan niedergelassen hatten, sahen zuerst ein großes wohlgebautes Mädchen herannahen, das eine prächtige Haltung, unregelmäßige, aber eindringliche, feurige Gesichtszüge hatte, die durch kräftige Kontraste auf die Seele wirkten. Ihr dunkles, in aufreizenden Locken herabfallendes Haar, das ohne Zweifel schon die Stürme der Liebe erfahren hatte, umspielte ihre breiten Schultern, die anziehende Ausblicke boten. Lange, braune Locken umhüllten halb einen majestätischen Hals, über den das Licht zuweilen dahinglitt und die Feinheit grazilster Konturen enthüllte. Die mattweiße Haut ließ die warmen Töne ihres kräftigen Teints lebhaft hervortreten. Das von langen Wimpern beschattete Auge schleuderte kühne Blitze, Liebesfunken. Die roten, feuchten, halboffenen Lippen luden zum Kusse ein. Sie war kräftig gebaut, aber reizvoll geschmeidig; ihre Brust und ihre Arme waren üppig wie bei den schönen Gestalten von [Fußnote: Carracci : italienische Malerfamilie des 16. Jahrhunderts] ; bei alledem schien sie leicht und gewandt und ihre Kraft mahnte an die Behendigkeit einer Pantherkatze, so wie die männliche Eleganz ihrer Formen verzehrende Wollust verhieß. Obwohl dieses Mädchen zweifellos lachen und schäkern konnte, schrak man vor ihren Augen und ihrem Lächeln zuinnerst zurück. Gleich jenen von einem Dämon besessenen Prophetinnen rief sie mehr Staunen als Wohlgefallen hervor. Auf ihrem beweglichen Gesicht wechselte der Ausdruck blitzartig, in rascher Folge. Blasierte Männer hätte sie vielleicht entzückt, aber einem jungen Mann mußte sie Furcht einflößen. Sie war wie eine Kolossalstatue, die von einem griechischen Tempel herabgestürzt ist, wundervoll aus der Entfernung, aber von nahem betrachtet grob. Nichtsdestoweniger hätte ihre blendende Schönheit Ohnmächtige wecken, ihre Stimme Taube entzücken, ihre Blicke alte Gebeine neu beleben können. Darum verglich Émile das Mädchen mit einer Tragödie von Shakespeare, einer Art bewundernswürdiger Arabeske, wo die Freude brüllt, die Liebe etwas unbeschreiblich Wildes hat und wo auf das blutrünstige Toben des Zornes
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