Das Chagrinleder (German Edition)
mich zusammen. Wenn ich angesprochen wurde, war ich bemüht, ohne meine Rede lang auszudehnen, die Diskussionen durch mehr oder weniger entschiedene, tiefgründige oder geistreiche Bemerkungen zusammenzufassen. Ich rief einiges Aufsehen hervor. Zum tausendstenmal in seinem Leben war Rastignac Prophet. Als die Gesellschaft so zahlreich war, daß sich jeder frei fühlte, gab mir mein Beschützer den Arm, und wir wandelten durch die Gemächer. ›Laß bloß die Fürstin deine Verwunderung nicht anmerken‹, sagte er zu mir, ›sie errät sonst den Grund deines Besuchs!‹ Die Salons waren mit ausgewähltem Geschmack ausgestattet. Ich sah erlesene Gemälde. Jeder Raum hatte, wie bei den reichsten Engländern, seinen besonderen Charakter, und die Seidenbehänge, die Verzierungen, die Form der Möbel, der kleinste Zierat stimmten harmonisch mit einem Grundstil überein. In einem gotischen Boudoir, dessen Türen gestickte Portieren verbargen, waren das Randdekor des Stoffes, die Pendeluhr, das Muster des Teppichs gotisch. Die Felder zwischen den geschnitzten braunen Balken der Decke waren originell gestaltet; die Holztäfelung war kunstvoll gearbeitet; nichts störte den Gesamteindruck dieser hübschen Dekoration; nicht einmal die Fenster mit ihren kostbaren, bemalten Scheiben. Ich war überrascht beim Anblick eines kleinen modernen Salons, den ein mir bekannter Künstler im Stil unserer Zeit, der so leicht, so anmutend, so gefällig, so prunklos und sparsam an Vergoldung ist, vollendet ausgestattet hatte. Er war ätherisch und liebesdurchweht, wie eine deutsche Ballade, ein rechtes Nest für eine Leidenschaft von 1827, erfüllt vom Duft seltener Blumen. Hinter diesem Salon sah ich noch eine Flucht von Zimmern, darunter ein Gemach, das reich vergoldet den Stil Ludwigs XIV. aufleben ließ, der unserem Geschmack entgegengesetzt einen bizarren, doch angenehmen Konstrast bildete. ›Du wirst hier ganz gut untergebracht sein‹, sagte Rastignac zu mir mit einem Lächeln, das eine leise Ironie umspielte. ›Ist dies nicht verführerisch?‹ fügte er hinzu, indem er sich setzte. Plötzlich stand er wieder auf, nahm mich bei der Hand, führte mich in das Schlafzimmer und zeigte mir unter einem Himmel aus weißem Mußelin und Moiré ein sanft beleuchtetes wollüstiges Bett, das wahre Bett für eine junge Fee, die einem Genie versprochen ist. ›Liegt nicht‹, sagte er mit leiser Stimme, ›maßlose Schamlosigkeit, Vermessenheit und maßlose Koketterie darin, uns diesen Liebesthron betrachten zu lassen? Sich keinem hinzugeben und jedem zu gestatten, seine Karte hier abzugeben? Wenn ich frei wäre, so wollte ich diese Frau demütig an meiner Tür weinen sehen.‹ – ›Bist du denn ihrer Tugend so sicher?‹ – ›Die verwegensten unserer Salonlöwen und sogar die geschicktesten geben zu, daß sie bei ihr gescheitert sind; sie lieben sie noch immer und sind ihre ergebenen Freunde. Ist diese Frau nicht ein Rätsel?‹ Diese Worte versetzten mich in eine Art Rausch. Ich fing schon an, auf ihre Vergangenheit eifersüchtig zu werden. Freudig erregt, kehrte ich eilig in den Salon zurück, in dem die Comtesse geweilt hatte; ich traf sie in dem gotischen Boudoir. Sie entbot mich mit einem Lächeln zu sich, hieß mich Platz nehmen, fragte nach meinen Arbeiten und schien sich lebhaft dafür zu interessieren, besonders als ich ihr mein System in scherzender Weise darlegte, anstatt es gelehrtenhaft im Professorenstil vor ihr zu entwickeln. Sie schien sich sehr zu amüsieren, als sie vernahm, daß der menschliche Wille eine dem Dampf vergleichbare materielle Kraft sei; daß nichts in der moralischen Welt dieser Kraft widerstehen könnte, wenn ein Mensch sich daran gewöhne, sie zu konzentrieren, sie als Ganzes wirken zu lassen und das Geschütz dieser flüssigen Masse beständig auf die Seelen richte; daß ein solcher Mensch nach Belieben alles, was mit dem Menschen zusammenhängt, selbst die Naturgesetze, verändern könne. Die Einwendungen Fœdoras bekundeten einen gewissen Scharfsinn; ich gefiel mir darin, ihr für ein paar Augenblicke recht zu geben, um ihr zu schmeicheln, und zerstörte dann ihre weiblichen Vernünfteleien mit einem Wort, indem ich ihre Aufmerksamkeit auf ein alltägliches, dem Anschein nach gewöhnliches Phänomen lenkte, und zwar den Schlaf, der für den Gelehrten im Grunde jedoch voll unlöslicher Probleme sei, und ich reizte ihre Neugier. Die Comtesse wurde sogar für ein Weilchen recht schweigsam, als ich ihr sagte,
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