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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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Teil der Botschaft wird heute in weiten Teilen der Kirche gern unterschlagen, vergessen und verdrängt zugunsten eines harmlos friedliebenden Allversöhners, der für ein möglichst einträchtiges Zusammenleben der Menschen zu sorgen hat. Heutige Christen sind konfliktscheu bis zur Harmoniesucht.
    Der wirkliche Jesus hat das natürliche Harmoniebedürfnis auf gröblichste Weise verletzt. Als ihm während einer Predigtpause zugetragen wurde, seine Mutter und seine Brüder stünden draußen und wollten mit ihm reden, bürstet er den Überbringer dieser Nachricht schroff ab mit der Frage: Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? Und er streckte seine Hand aus über seine Jünger und sprach: Seht da, meine Mutter und meine Brüder! Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter! (Matthäus 12, 47   –   50)
    In einem anderen Fall hatte einer, der sich zur Nachfolge berufen fühlte, Jesus um kurzen Aufschub gebeten, weil er erst einer der heiligsten Pflichten der damaligen Zeit nachkommen wollte: der Bestattung seines toten Vaters. Jesus stieß diesen Menschen vor den Kopf mit der Bemerkung: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber gehe hin und verkündige das Reich Gottes. (Lukas 9, 60)
    Jesu abwertende Äußerungen über die Familie oder die schockierende Aussage zur heiligen Pflicht der Totenbestattung wurden zu seiner Zeit besser verstanden als heute, denn sie beschrieben den damals noch deutlich empfundenen Bruch zwischen der natürlichen Welt und dem von Jesus verkündeten Reich Gottes. Christen wurden aus der normalen Welt wie mit dem Schwert herausgeschnitten, von dieser unterschieden und in ein anderes Reich versetzt, das nicht von dieser Welt ist.
    In diesem anderen Reich zählen natürliche Familienbande nicht mehr. Dort wird man Mitglied einer neuen Familie, die nicht länger durch Blutsverwandtschaft zusammengehalten wird, sondern durch Geistesverwandtschaft, durch den gemeinsamen Glauben und den daraus resultierenden Wunsch, am Reich Gottes mitzubauen. Dort gilt nicht mehr das in der Welt vertraute Oben und Unten. Dort zählt nicht mehr, ob man Herr ist oder Sklave, Mann oder Frau, Weißer oder Schwarzer, Grieche oder Jude, dort zählt nur noch, dass man zu Christus gehört, und wer zu ihm gehört, ist der Welt entrissen. Wie mit einem Schwerthieb wurde die Welt in zwei Reiche gespalten, und darum war die säkulare Welt für den Christen etwas Vorläufiges, Sekundäres, Relatives. Das galt auch für den römischen Staat.
    Dieser wusste lange nicht, wie er es mit den Christen halten sollte. Die Christen dagegen wussten von Anfang an ganz genau, wie sie es mit dem Staat halten sollten. Sie hatten ein klares Wort von Jesus: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist (Matthäus 22, 21) – eigentlich ein defensives, unspektakuläres, kaum Konfliktpotenzial bergendes Wort. Die Christen hielten sich auch daran. Sie erkannten die weltliche Macht des Kaisers vorbehaltlos an, beteten sogar für ihn, zahlten Steuern, verfolgten keinerlei aufrührerische Tendenzen, dachten nicht im Traum daran, die römische Ordnungsmacht in Frage zu stellen.
    Das Problem war: Die Christen hielten sich ganz genau an das Wort aus dem Evangelium. Sie gaben dem Kaiser, was des Kaisers war. Aber das, was nicht des Kaisers war, gaben sie ihm nicht. Und damit haben sie dem Kaiser unausgesprochen gesagt: Deine Macht hat Grenzen. Kaiser über uns darfst du sein, Gottkaiser nicht. Du bist zwar die höchste Instanz auf der Welt, aber nicht die letzte. Auch du bist etwas Vorläufiges, Sekundäres, Relatives und kannst darum niemals absoluter Herr über uns sein.
    Diese feine, aber scharfe – und wie sich im weiteren Verlauf zeigen sollte, folgenschwere – Abgrenzung wurde von den römischen Behörden und deren Entscheidungsträgern zu Beginn vermutlich gar nicht richtig gesehen, und wenn, dann nicht ernst genommen. Überhaupt wurde die ganze Bewegung der Christen anfangs von der römischen Staatsmacht unterschätzt, eben weil es wenige waren und sich die wenigen überwiegend aus unbedeutenden kleinen Leuten zusammensetzten. So blieben die Christen lange Zeit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der höheren Beamten, der gebildeten Oberschicht und der römischen Intellektuellen. Im Römischen Reich ging alles seinen normalen Gang, und dass es plötzlich überall kleine christliche Gemeinden gab, die sich vorwiegend in Privathäusern trafen, tangierte das römische Establishment so gut wie

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