Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
des christlichen Glaubens. Paulus gab diesem Glauben die Weite, die Tiefe und die Freiheit, die ihn dann vom jüdischen Glauben unterschied, und diese Unterscheidung musste zwangsläufig zur Trennung zwischen Juden und Christen führen.
Für Juden und Judenchristen bestand die Welt weiterhin aus der Zweiteilung: hier das auserwählte Volk Israel, dort der Rest der Welt. Das erschien auf den ersten Blick nicht wesentlich anders als die Sicht Paulus’ und der Heidenchristen. Auch sie kannten diese Zweiteilung, aber da gab es einen kleinen Unterschied, der sich im Lauf der Zeit als entscheidender und darum großer Unterschied erwies: Die Zugehörigkeit zum auserwählten Volk Israel, dem Volk Gottes, hängt seit dem Kreuzestod Jesu nicht mehr von der jüdischen Abstammung ab, auch nicht mehr vom Übertritt zum Judentum und der Übernahme aller damit verbundenen Pflichten, sondern allein von der Taufe und dem Glauben an Jesus Christus.
Dieser Glaube, so Paulus, macht frei und bedarf daher nicht mehr des äußeren Zeichens der Beschneidung. Er bedarf nicht der peinlichen Befolgung all der Speise- und Sabbatregeln, die sich jüdische Priester im Lauf von 1200 Jahren ausgedacht hatten. Diese Regeln mögen in der Vergangenheit ihren Sinn und ihre Berechtigung gehabt haben, aber Jesu Auferstehung hat sie überflüssig gemacht. Denn wir wurden alle in einem Geist zu einem Leibe getauft . (1 Korinther 12, 13) Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Knecht noch Freier, da ist weder Mann noch Weib; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus . (Galater 3, 28)
Darum versammelte Paulus Juden und Griechen in seinen Gemeinden, Männer und Frauen, Sklaven und Freie. Was in den jüdischen Gemeinden streng getrennt war, wurde jetzt vermischt. Was in den jüdischen Gemeinden peinlich genau beachtet wurde, spielte jetzt keine Rolle mehr, denn für Paulus bedeutete der Tod Jesu, dass Gott von nun an jeden Menschen bedingungslos annimmt. Der Mensch muss keine Vorleistung mehr bringen, muss keine Aufnahmebedingungen mehr erfüllen, um die Mitgliedschaft im Volk Gottes zu erlangen. Es gibt jetzt kein anderes Gesetz mehr als das der göttlichen Liebe und Gnade, und diese bekommt man geschenkt durch den Glauben. Genau darauf wird sich anderthalb Jahrtausende später Martin Luther berufen in seinem Kampf gegen eine katholische Kirche, die den Glauben längst schon wieder zu einer Gesetzesreligion instrumentalisiert hatte, um ihre Macht zu erhalten und immer weiter auszudehnen.
Mit der paulinischen Deutung des Kreuzestods Jesu war der Konflikt mit den Juden und den Judenchristen programmiert. Auf einem Apostelkonzil, das vermutlich um das Jahr 48/49 nach Christus stattgefunden hatte, wollte man diesen Konflikt lösen. Es gelang nicht. Es gab nur einen Kompromiss, der sich als nicht tragfähig erweisen sollte. Man einigte sich darauf, dass die Judenchristen sich weiterhin an das jüdische Gesetz halten sollten, während man die Heidenchristen von dieser Pflicht befreite. Aber das führte dazu, dass einige Judenchristen ihre Söhne nicht mehr beschneiden ließen und auch sonst nach Gusto entschieden, an welche Vorschriften sie sich noch halten wollten und an welche nicht. Das trug nicht nur eine große Unruhe in die judenchristlichen Gemeinden hinein, sondern versorgte überdies die Gegner der Jesus-Anhänger mit Munition und lieferte ihnen Anlässe für rufschädigende Äußerungen. Besonders schwierig gestaltete sich das Zusammenleben in den Gemeinden, in denen es Juden- und Heidenchristen gab. Die einen hielten sich an die jüdischen Gepflogenheiten, die anderen nicht. Dadurch brachen die alten Gräben zwischen Juden- und Heidenchristen neu auf, und in der Jerusalemer Gemeinde entstand eine feindselige Stimmung gegen Paulus.
Paulus war sehr daran gelegen, diese Stimmung aus der Welt zu schaffen und die Angelegenheit zu regeln. Es war ihm wichtig, in Frieden mit der Jerusalemer Urgemeinde und allen getauften Juden zu leben. Darum kam er mit einem Geldgeschenk – einer Kollekte, die er in seinen Gemeinden gesammelt hatte – als Versöhnungsgeste noch einmal nach Jerusalem, wo er aber schon bald nach seiner Ankunft verhaftet wurde. Man warf ihm vor, einen Nichtjuden mit in den Tempel gebracht zu haben, ein Vergehen, auf das die Todesstrafe stand.
Da Paulus über die römische Staatsbürgerschaft verfügte, war eine Verurteilung nicht so einfach, weshalb er nach Rom gebracht wurde. Dort verliert sich seine Spur. Nach altkirchlichen
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