Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
nicht.
Registriert wurden die Christen von den Behörden zuerst vermutlich vor allem als indirekte Ursache kleinerer Unruhen im Volk und Auslöser von Störungen der öffentlichen Ordnung. Der seltsame Glaube der Christen war den ungebildeten Heiden suspekt. Sie kannten ihn auch meistens nur vom Hörensagen, und über dieses Hörensagen kursierten die wildesten Gerüchte, zum Beispiel der Vorwurf des Kannibalismus, der von einem Missverständnis des Abendmahls herrührte.
Aufgrund solcher Gerüchte und ihres Minderheitenstatus eigneten sich die Christen hervorragend als Sündenböcke für alles. Wo immer die Erde bebte, ein Vulkan spie, eine Feuersbrunst sich ausbreitete oder eine Epidemie wütete, waren es die Christen, die wegen ihrer Anbetung eines fremden Gottes solches Unheil heraufbeschworen hatten. Und da kam es manchmal zu Übergriffen und gewalttätigen Ausschreitungen.
In solchen Fällen funktionierte der römische Staatsapparat zuverlässig wie eine Maschine. Er griff ein, schützte die Christen vor den Übergriffen, stellte die öffentliche Ordnung wieder her. Aber die damit befassten Statthalter ärgerten sich zugleich über die Christen, da sie ihretwegen zu Polizeieinsätzen gezwungen waren. So etwas liebt der römische Beamte nicht, denn das bedeutet Vernehmungen, Berichte, Papierkrieg, Akten, Urteile, Arbeit, Ärger. Daher genossen die Christen keine Sympathie bei den Behörden.
Noch mehr Verdruss aber bereitete den Behörden die in den Augen eines römischen Staatsbeamten alberne Weigerung der Christen, dem Kaiser und den Göttern ihre Ehrerbietung zu erweisen. Was ist denn schon dabei, den Kaiser zu grüßen, das kostet doch nichts, dachten die römischen Beamten. Die Christen dachten anders. Sie lehnten es rundweg ab, vor den Kaiser- und Götterstatuen die damals üblichen Weihrauch- und Weinopfer darzubringen, wie es für jeden römischen Bürger Pflicht war.
Auch in diesen Fällen funktionierte der Staat wie eine gut geölte Maschine. Auf so eine Majestätsbeleidigung stand nach dem Gesetz die Todesstrafe, und die wurde ohne viel Federlesens exekutiert. Die dafür zuständigen Beamten hatten aber vermutlich nicht das Gefühl, Staatsfeinde hingerichtet zu haben, sondern Verrückte.
Einem der Nachdenklicheren unter den römischen Statthaltern war, nachdem er mehrere Christen zum Tode verurteilt hatte, aufgefallen, dass es keine richtige juristische Grundlage für die Behandlung der Christen gab. Es war ihm auch nicht verborgen geblieben, dass die Christen eigentlich nichts Unrechtes taten und nur vom Spleen der Verweigerung des Kaiserkults besessen waren – ein Spleen, den man ihnen ja möglicherweise noch abgewöhnen konnte.
Bei diesem Statthalter handelte es sich um Plinius den Jüngeren, der um das Jahr 111/112 mehrere an ihn ausgelieferte Christen zum Tode verurteilte und danach in einem Brief an seinen Kaiser Trajan um eindeutige Gesetzesvorschriften bat. Plinius berichtete getreulich nach Rom von den seiner Meinung nach verbotenen, aber ungefährlichen religiösen Praktiken der Christen: nächtliche Zusammenkünfte, bei denen sie Hymnen singen, ihren Christus als Gott verehren, ein Gemeinschaftsmahl in der Morgendämmerung, aber mit gewöhnlichen und harmlosen Speisen (also nichts Kannibalistisches), die unter Eid gegebene Verpflichtung, keine bösen Taten zu begehen (gemeint ist die Taufe), aber eben auch die Verweigerung eines Weihrauch- und Weinopfers vor «deinem Bild und den Götterstatuen». 23
An sich war Rom, wie jeder polytheistische Staat, tolerant gegenüber den Göttern der unterworfenen Völker. Es herrschte weitgehend Religionsfreiheit im ganzen Reich, solange nur anerkannt wurde, dass einer über allen thronte: der Kaiser. Daher ist verständlich, dass eine Gruppe, die wie die Christen nicht nur alle anderen Götter negierte, sondern auch den Kaiser, in Konflikt geraten musste mit dem Staat. Allerdings haben die Juden sich ebenfalls dem Kaiserkult verweigert. Das wurde toleriert. Warum begegnete der Staat den Christen nicht mit derselben Toleranz?
Diese Frage musste eine Rolle gespielt haben in Plinius’ Grübeleien über den seiner Meinung nach «unvernünftigen und maßlosen Aberglauben» der Christen. Er war darüber erbost, und doch war er nicht ganz sicher, wie er damit verfahren sollte. Daher erbat er nun eindeutige Direktiven aus Rom.
Die bekam er auch, und dieses kaiserliche Schreiben diente nun fast 140 Jahre lang als Grundlage für die Behandlung der
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