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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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romantisch knarzenden Holzdielen bestehen und der riesige Wohnbereich von einem offenen Kamin beheizt werden. Nicht zu vergessen der »Meerblick« aus dem beim Aufwachen bereits sonnendurchfluteten Schlafzimmer. Dieser bereitete mir angesichts der geographischen Lage Berlins die meisten Sorgen. Nun gut, man weiß ja, dass Frauen von Natur aus verträumt sind und der schnöden Realität mitunter mit Argwohn gegenüberstehen.
    Die in meinen Gedanken detailliert entworfene und jabereits bekannte Jugendstilvilla war da weitaus wirklichkeitsnäher. Was meine Frau seltsamerweise nicht einsehen wollte. Mit Argumenten war ihr in diesem Zusammenhang nicht beizukommen. Am Ende unserer Debatte landeten wir bei einem dieser windelweichen Kompromisse, die Liebesbeziehungen manchmal so schwierig machen: Wir beide durften abwechselnd ein Haus unserer Wahl zur gemeinsamen Besichtigung vorschlagen.
    Um auf dem schwierigen Berliner Immobilienmarkt eine bezahlbare Kreuzung aus verspieltem Pippi-Langstrumpf-Domizil und repräsentativem Jugendstilpalast zu finden, wollten wir uns jener Experten bedienen, die handelsüblich unter der Berufsbezeichnung »Makler« firmieren. Wir sollten erst noch erfahren, dass das Verb »makeln« den Wortstamm »Makel« nicht umsonst beinhaltet. Bei der Sichtung unseres umfangreichen Prospektstapels wurde jedoch schnell klar: Der Berufsstand hatte sehr unterschiedliche Verkaufskonzepte. Da gab es hektisch zusammenkopierte Schwarz-Weiß-Heftchen mit diffusen Angaben ohne jede Gewähr, deren Orthographie offensichtlich einem Zufallsgenerator überlassen worden war. Aber auch telefonbuchdicke Hochglanzmappen mit genau vermessenen Grundrissen aller Etagen sowie umfangreichen Details zu bereits ausgeführten Bau- und Sanierungsmaßnahmen, bei denen selbst Rechnungsnachweise nicht fehlten. Die Heftchenstrategen bemühten sich, mit möglichst unscharfen Fotos und so blumigen wie ungelenken Beschreibungen Käufer zu locken, während die Hochglanzfetischisten das Urteilsvermögen ihrer Kunden mit der exzessiven Nennung von Zahlen und Fakten außer Gefecht zu setzen versuchten.
    Hätten meine Liebste und ich damals schon die Erfahrungen gehabt, die wir leider erst noch machen mussten, hätte uns eines jedoch sofort misstrauisch gestimmt: Egal,mit welcher Sorte Bauschuttverkäufer wir erste Gespräche führten, niemand versuchte, uns die groteske Idee eines Pippi-Jugendstil-Zwitters auszureden. Allen war nur wichtig, uns erst einmal in ihre Fänge zu bekommen. Ein in Immobilienfragen unerfahrenes türkisch-schwäbisches Pärchen schien ihnen wohl ausreichend naiv und manipulierbar, um selbst die ruinösesten Ladenhüter und Schrottimmobilien als Traumhaus zu verramschen. Doch ich greife vor.
    An jenem Samstag versuchten wir, nachdem ich mich wunschgemäß geduscht und parfümiert hatte und Levin von der Oma zum Karussellfahren abgeholt worden war, eine gewisse Ordnung in den Hausbeschreibungshaufen zu bekommen. Dabei stolperten wir immer wieder über rätselhafte Ausdrücke wie »teilsaniert« oder »Liebhaberobjekt«. Nehmen wir nur einmal den schönen Begriff »teilsaniert«. Bedeutete das, dass ein nicht ganz so perfektionistischer Heimwerker, wie ich es bin, eine Zeitlang an dem Haus herumgepfuscht und dann angesichts seiner immer deutlicher zutage tretenden Unfähigkeit aufgegeben hatte? Oder verlegte ein solcher Kurpfuscher womöglich nicht nur den falschen Teppichboden, sondern verpasste auch den sanitären Anlagen den Standard der frühen Bronzezeit? In dem Fall wäre teilsaniert ein Codewort für die Tatsache, dass der bedauernswerte Käufer den komplett ruinierten Bau mit hohem finanziellem und handwerklichem Aufwand wieder auf den heutzutage üblichen Mindestkomfort zu bringen hatte. Dafür sollte sich ein anderer Dummer finden.
    Und was konnte man sich unter einem »Liebhaberobjekt« vorstellen? Ein Haus, das sich vor Liebhabern kaum retten kann? Oder doch eher ein verfallenes Mauerwerk mit einem Zeitwert weit unter den Abrisskosten, das höchstens als Übungsobjekt für die Luftwaffe geeignet war: »HierDelta-Bravo neun-zwei-vier. Habe Liebhaberobjekt auf zwölf Uhr im Visier. Erbitte Schussfreigabe«?
    Als erfahrene Pauschalurlauber konnten wir dagegen sofort einordnen, was »verkehrsgünstig gelegen« zu bedeuten hatte – waren wir doch in der Vergangenheit oft genug den Reisekatalog-Flunkereien von Hui und Meckermann aufgesessen und wussten darum, dass die »verkehrsgünstige Lage« eines Hotels nur

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