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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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Laminat bombenfest sitzt. Wegen der Dachschräge musste ich eben dies auf allen vieren auf den Boden gehockt erledigen. Ich legte das Eisen an, klopfte konzentriert ... und merkte erst durch einen stechenden Schmerz, dass ich mir gerade die Haut meiner Unterarme eingeklemmt und mich selbst am Boden festgeklickt hatte. Aua!
    Da war ich nun, allein auf dem Dachboden, in Hundestellung unter dem Schrägdach eingeklickt, niemand in Rufnähe und das Handy vier Meter von mir entfernt am Ladekabel.
    Im ersten Moment musste ich lachen, weil mir auffiel, dass Klicklaminat eigentlich ein ideales Polizei-Accessoire für Gruppenfestnahmen bei Großeinsätzen wäre. »So, nun alle mal die Unterarme hoch! Laminat anhalten, zusammenklicken – und mitkommen!« Wer würde schon mit vier Quadratmeter Fußboden an den Händen fliehen wollen?
    Mit der Zeit wurde mir jedoch ein wenig mulmig zumute, und ich begann, halbherzig um Hilfe zu rufen. Aber Kosewitz und sein Faulenzerzwilling Gerd saßen vermutlich wieder im schallisolierten Keller und verspielten ihre eh schon verlorenen Seelen, und Baba war im Baumarkt, um Schrauben und Beschläge zu besorgen. Ich weiß nicht, wie lange ich in dieser unsäglichen Position unter der Dachschräge hockte, fest steht, dass es die reine Folter war. Gelähmt, depressiv und dehydriert, wie ich war, verlor ich zusehends die Nerven. Nach einer schier endlosen Zeit kam Baba zurück, und ich hörte ihn im gesamten Haus nach mir rufen »Murat, Junge, wo bist du?«
    Ich wollte antworten, hatte jedoch schlicht keine Kraft mehr, so dass mein »Hier« ein klägliches Piepsen blieb. Endlich hörte ich Baba die Treppen zum Dachboden erklimmen. Er öffnete die Tür, wähnte mich in muslimischer Betposition, murmelte »’tschuldigung« und verschwand schneller, als er gekommen war. Das war’s, wer außer ihm sollte mich jetzt noch finden und vor dem kläglichen Verdursten und Verhungern bewahren? Wie ein räudiger Hund würde ich in dieser peinlichen, unwürdigen Stellung verrecken und weder meine geliebten Kinder noch meine zuletzt so hartherzige Frau je wiedersehen. Ich versuchte, die aufschießenden Tränen zu unterdrücken und mir die alten Kung-Fu-Weisheiten ins Gedächtnis zu rufen. Aber es half alles nichts: Ich ertrank in Selbstmitleid und verfluchte Eigenheime, Schwaben, Kosewitz und Hebbel-Haus bis in die vierzehnte Generation (Hebbel nahm ich nach kurzem Überlegen wieder raus, denn die waren ja ohnehin schon bankrott). Je länger ich in meiner selbstgestellten Falle festsaß, desto mehr wichen Selbstmitleid und Wut einer tiefen Nachdenklichkeit. War dieses armselige Ende nicht die logische Folge meiner vielen selbstherrlichen Entscheidungen? War es nicht mein völlig überflüssiger Mannesstolz gewesen, der zu all den fatalen Entwicklungen der letzten Monate geführt hatte? Zu der Ablehnung eines koordinierenden Architekten und der unheilvollen Verpflichtung von Hebbel-Haus? Zu meiner ständigen Überforderung, der daraus resultierenden Vergesslichkeit, den Lügen, die nach und nach meine Liebsten von mir entfremdet hatten? War ich am Ende gar selbst an allem schuld? Wenn ich ehrlich war – und im Angesicht des Todes schien mir das ratsam –, war dieser vermaledeite Stolz tatsächlich die Ursache allen Übels. Ich begann zu bereuen und meine kluge Frau, die mir genau das von Beginn an prophezeit hatte, inbrünstigum Verzeihung zu bitten. Hätte ich auch nur die geringste Chance gehabt, an mein Handy zu kommen, hätte ich meine Reue Ann-Marie sofort mitgeteilt.
    Während ich noch innere Zwiesprache mit meiner Liebsten hielt, öffnete mein Baba die Tür zum Dachboden ein zweites Mal: »Junge, wusste ich doch, irgendwas stimmt nicht. Mekka ist doch in andere Richtung.«
    Dem sicheren Tod von der Klinge gesprungen, reckte und streckte ich erleichtert meine Gliedmaßen. Und als löste sich durch die gymnastischen Übungen eine hartnäckige Blockade in meinem Kopf, erkannte ich plötzlich die Botschaft, die sich hinter der Flucht meiner Frau verbarg:
Murat, beweise, dass du Verantwortung für das Glück deiner Familie übernehmen kannst, und schaffe uns ein Heim. Ich gebe dich frei, damit du die Freiheit hast, erwachsen zu werden.
    »Ja, Frau«, rief ich so laut, dass Baba vor Schreck beinahe die Treppe runtergefallen wäre. »Ich habe verstanden!«

18. Kapitel

Aufräumarbeiten
     
     
    Geduld und Hartnäckigkeit sind zwei lobenswerte Eigenschaften, und das Schöne an ihnen ist, dass sie in der Regel

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