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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nichts mehr haben, woran wir
glauben können, Andrej. Ein Volk vermag viel zu ertragen,
wenn es Hoffnung hat. Aber welche Hoffnung hat ein Volk, das
falschen Göttern dient? Wofür sollen wir all das Leid und die
Entbehrungen ertragen, wenn es nichts gibt, was wir dafür
bekommen?«
Ihre Worte brachen ihm fast das Herz. Sollte er ihr sagen, dass
das der unabänderliche Lauf der Welt war? Dass er unzählige
Male drüben gewesen war, in jenem gelobten Land, für dessen
Erringung so viele Menschen das einzige Leben geopfert hatten,
das sie in Wahrheit besaßen, um dort nichts zu finden außer
Leere und Dunkelheit und Vergessen? Er konnte es nicht.
»Und deshalb möchte ich, dass du meinen Brüdern hilfst,
diesen Krieg zu gewinnen«, fuhr sie fort. »Das ist verrückt, nicht
wahr? Ich bitte dich, etwas zu tun, was ich eigentlich um nichts
auf der Welt will.«
»Das ist nicht verrückt«, antwortete Andrej so leise, dass er
nicht sicher war, ob seine Worte sie erreichten, bevor der Wind
sie ihm von den Lippen riss. »Es ist unglaublich tapfer.«
Wenn schon nicht gehört, so musste sie seine Antwort doch
gespürt haben, denn sie wandte sich nun wieder direkt an ihn
und sah auf eine Art zu ihm hoch, die ihn erschauern ließ. »Aber
nur«, fügte sie hinzu, »wenn du auch sicher bist, dass wir diesen
Kampf gewinnen können.«
Andrej strich ihr zärtlich mit der Hand über das Haar. »Das bin
ich«, log er.

6
    König Osrik kam nicht nach vier Tagen zurück, wie er es
versprochen hatte, sondern erst am Abend des fünften, dafür aber
nicht mit zwei Schiffen, sondern einer ganzen Flotte. Vor ihm
waren bereits die Herrscher zweier weiterer benachbarter Inseln
eingetroffen, sodass der kleine Steg schon lange nicht mehr
ausreichte und in der Dünung mehr als ein Dutzend mit Tauen
aneinandergebundener Drachenboote schaukelten. Als Osrik mit
seinen Kriegern eingetroffen war, wuchs ihre Zahl auf über
dreißig an, und mit dem letzten Grau des erlöschenden Tages
gesellte sich sogar noch ein weiteres Schiff hinzu – auf dessen
Anblick sowohl Andrej als auch Abu Dun gerne verzichtet hätten.
    Das Horn, das einer der Männer blies, die Björn in den
Baumwipfeln postiert hatte, um das Meer und die nähere
Umgebung des Dorfes im Auge zu behalten, rief sie wieder zur
Küste hinab, und Andrej konnte ein besorgtes Stirnrunzeln nicht
unterdrücken, als er das rot-weiß gestreifte Segel und den
geschnitzten Drachenkopf erkannte, die wie Boten aus einer
lange zurückliegenden Zeit aus dem Nebel auftauchten, einer
Zeit, die sie lieber vergessen hätten.
    Es war die Fenrir.
Andrej musste sich eingestehen, dass er das Schiff (und die
beiden unglückseligen Männer, die Thure auf der Insel zurückgelassen hatte, um sie wieder instand zu setzen) schlichtweg
vergessen hatte, und so sehr es ihn freute, dass sie noch am
Leben waren und ihre unmöglich erscheinende Aufgabe
bewältigt hatten, so sehr hätte er sich gewünscht, das verfluchte
Schiff niemals wiederzusehen.
Abu Dun, der neben ihm stand, schien es genauso zu ergehen.
Er sagte kein Wort, und auf seinem schwarzen Gesicht zeigte
sich nicht die mindeste Regung. Aber er hatte die Hand um den
Schwertgriff gelegt, und Andrej spürte seine Anspannung. Mit
diesem Gefährt verbanden sich für sie beide zu viele schlimme
Erinnerungen. Anscheinend war er nicht der Einzige, dem es
wie ein schlechtes Omen vorkam, es zurückkehren zu sehen,
ausgerechnet jetzt, am Vorabend ihres Aufbruches.
Thure und sein Bruder betrachteten das Erscheinen des Schiffes offensichtlich auch als ein Omen – aber ein gänzlich anderes
als Abu Dun und er. Björn sagte nichts, sah dem näher kommenden Schiff jedoch mit einer Ungeduld entgegen, die Andrej
veranlasste, einen besorgten Blick mit Abu Dun zu tauschen.
Doch Thure wartete gerade so lange, bis er vollkommen sicher
war, das Schiff auch tatsächlich zu erkennen, dann riss er sein
Schwert aus dem Gürtel und rief mit weit über den felsigen
Strand hörbarer Stimme: » Es ist die Fenrir! Sie ist zurück! «
Niemand jubelte. Hier und da wurde ein besorgtes Murmeln
und Raunen laut, und Andrej blickte in mehr als ein Gesicht, auf
dem sich unübersehbarer Schrecken abzeichnete. Vor allem
Osrik, der unmittelbar neben Thure stand, wirkte kein bisschen
erfreut, sondern tief besorgt.
»Das verfluchte Schiff der Wolfsmenschen«, sagte er.
»Nein!«, widersprach Thure heftig und so laut, dass seine
Worte überall zu verstehen waren.

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