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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dich wirklich
geliebt hat, dann kannst du das nicht annehmen. Sie hätte
gewollt, dass du weiterlebst.«
Also hatte er endlich Gewissheit. Andrej verspürte ein
schreckliches Gefühl von Leere, aber auch noch etwas, das neu
war und wofür er sich beinahe schämte: eine ganz allmählich
erwachende, unendliche Erleichterung. Er wusste, dass der
Unsterbliche die Wahrheit sagte. Tief in sich hatte er es seit
einem Jahrhundert gewusst. Er hatte nur nie die Kraft gehabt, es
sich einzugestehen.
»Nimm dieses Mädchen und geh deiner Wege, Andrej Delãny«, fuhr Odin fort. »Sie wird dir folgen, auch ohne dass ich es
ihr befehle. Und du musst keine Angst davor haben, sie an
deiner Seite älter werden und schließlich sterben zu sehen. Sie
wird eine von uns werden, wenn du es willst. Ich kann dir
zeigen, wie du sie dazu machst.«
Alles in ihm schrie danach, dieses Angebot anzunehmen, aber
seine Kehle war wie zugeschnürt. Maria war tot, und obwohl er
es im Grunde schon seit so langen Jahren gewusst hatte, tat diese
Erkenntnis entsetzlich weh. Er blickte wieder in Urds bleiches
Gesicht hinab, und eine Welle von Zärtlichkeit überkam ihn,
sodass er sich am liebsten zu ihr hinuntergebeugt, sie in die Arme
geschlossen und an sich gepresst hätte, um sie nie wieder loszulassen. Ja, er könnte es tun. Er spürte, dass Odins Angebot ehrlich
gemeint war. Er könnte sie nehmen und zusammen mit ihr und
Abu Dun von hier fortgehen und ihr ein Leben schenken, das
nach Jahrhunderten zählte, wenn nicht nach Jahrtausenden, statt
nach so wenigen Sommern. Und zugleich war es ihm unmöglich.
Jetzt, wo er wusste (und es sich endlich selbst eingestand), dass es
Maria nicht mehr gab, wäre es ihm falsch vorgekommen, durch
und durch schäbig, die Erinnerung an sie einfach abzuschütteln
und Urd zu nehmen, wie ein neues Spielzeug, das man gegen ein
Zerbrochenes eintauschte.
»Was willst du?«, fragte Abu Dun.
»Nichts«, antwortete Odin. »Nur, dass ihr geht. Mischt euch
nicht in diesen Streit. Es ist nicht eurer.«
»Aber vielleicht wollen wir ihn ja dazu machen«, erwiderte
Abu Dun.
»Dort unten sind mehr als achthundert Krieger versammelt«,
antwortete Odin. Er klang noch immer beinahe nachsichtig,
genau wie beim ersten Mal, als Andrej mit ihm gesprochen
hatte, fast wie ein Vater, der geduldig ein ums andere Mal
versuchte, seinem uneinsichtigen Kind etwas zu erklären.
»Keiner von ihnen wird zurückkehren, wenn ihr sie tatsächlich
in diesen Krieg führt. Ist euch das Leben der Sterblichen
wirklich so wenig wert?«
»Wahrscheinlich mehr als dir«, erwiderte der Nubier scharf.
»Warum tust du nicht, was du uns gerade selbst geraten hast?
Geh deiner Wege und lass die Menschen hier endlich in Frieden.«
Odin seufzte. »Du weißt nicht, worauf du dich einlässt. Möchtest du es sehen?«
»Warum eigentlich nicht?«, fragte Abu Dun, täuschte einen
Schwerthieb an und warf sich gleichzeitig und mit weit ausgebreiteten Armen auf den Unsterblichen.
Odin war nicht mehr da, als Abu Dun mit einer Wucht im Gras
aufprallte, als wäre der Mond vom Himmel gestürzt, aber damit
hatte Andrej gerechnet und stürmte gleichzeitig los, riss sein
Schwert aus dem Gürtel und führte einen wuchtigen Tritt nach
dem Weißhaarigen aus. Sein Schwerthieb ging ins Leere, als
Odin sich mit einer unvorstellbar schnellen Bewegung unter der
Klinge wegduckte, aber sein Fußtritt traf und fegte ihm die
Beine unter dem Leib weg. Odin stürzte, und Abu Dun rollte
herum und schwang seinen Krummsäbel in einem gewaltigen,
glitzernden Bogen nach seiner Kehle.
Andrej sah nicht einmal, wie der Unsterbliche seine Waffe
zog, aber plötzlich hatte er die Klinge in der Hand, fing Abu
Duns Schwerthieb ab und versetzte Andrej zugleich einen Tritt,
der seinen Oberschenkel mit der Wucht eines Hammerschlages
traf und ihn zurückstolpern ließ, bis er stöhnend auf ein Knie
sank.
» Sleipnir! « , schrie Odin.
Und das Grauen brach aus dem Wald.
Andrej sah im ersten Moment nur etwas Riesiges, Schwarzes
mit drahtigem Fell, wirbelnden Beinen und viel zu vielen starren
Augen, die glotzten, und Zangen, die schnappten, scharf und
gebogen wie die Klinge eines Krummsäbels. Etwas traf ihn mit
unvorstellbarer Wucht, schleuderte ihn meterweit durch die Luft
und ließ ihn mit solcher Gewalt zu Boden fallen, dass ihm
beinahe die Sinne schwanden. Das Schwert entglitt seinen
plötzlich kraftlosen Fingern, und etwas noch viel Grauenhafteres, entsetzlich Gieriges

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