Das Daemonenschiff
hätte, und obwohl
seine Kräfte jetzt immer schneller zurückkehrten, musste er
einen Moment innehalten und nach Atem ringen. Die Temperaturen waren noch einmal weiter gefallen. Die Luft strich über
sein Gesicht wie unsichtbares Eis, und sein Atem erschien als
grauer Dampf vor seinen Lippen. Während er darauf wartete,
dass sich sein hämmernder Pulsschlag wieder beruhigte, suchte
sein Blick die Baumwipfel ab. Schatten bewegten sich darin, der
Wind spielte raschelnd mit Laub, aber mehr konnte er dort nicht
entdecken. Hatte er sich getäuscht, und Odin erwartete ihn an
einem anderen Ort?
Aber er hätte nicht gewusst, wo.
Nach einer Weile gab er das sinnlose Grübeln auf und setzte
seinen Weg fort, allerdings sehr viel langsamer, als er es
gekonnt hätte, um Abu Dun auf diese Weise Gelegenheit zu
geben, die Lichtung im großen Bogen zu umgehen und sich ihr
von der anderen Seite zu nähern, aber auch sich selbst, um seine
Kräfte zu erneuern. Andrej machte sich nichts vor – er hatte
gerade am eigenen Leib gespürt, wie entsetzlich stark der
Unsterbliche war. Aber Stärke war nicht alles. Odin wusste, wie
hoffnungslos überlegen er ihm war, aber er wäre nicht der Erste
seiner Art, dem gerade das Wissen um seine Überlegenheit zum
Verhängnis wurde. Wenn er Urd etwas angetan hatte, dann würde er ihn töten, selbst wenn es sein eigenes Leben kostete.
Die Wolkendecke riss (gewiss nicht zufällig) auf, als er die
Lichtung erreichte und zwischen den letzten Bäumen hervortrat,
und er spürte die Anwesenheit des Unsterblichen einen halben
Atemzug, bevor er ihn sah; ein eisiger Hauch, der seine Seele
berührte und ein Gefühl unerhörten Alters und unersättlicher
Gier zurückließ. Der weißhaarige Gott stand auf der anderen
Seite der kleinen Lichtung, dicht am Waldrand, und ein Schatten
bewegte sich hinter ihm, riesig und formlos und zu groß, um
vom Unterholz noch verborgen zu werden.
»Du bist also wirklich gekommen. Ich habe mich nicht in dir
getäuscht.« Odin klang zufrieden, beinahe erleichtert, dachte
Andrej. Aber er war nicht in der Stimmung, dem Unsterblichen
auch nur einziges positives Gefühl zuzubilligen.
»Wo ist sie?«, sagte er.
Odin deutete auf den Boden zu seinen Füßen, und Andrej
erkannte erst jetzt den reglosen Körper, der dort im nassen Gras
lag. Während er rasch über die Lichtung eilte, tastete er nach
Urds Lebensflamme und stellte mit einem Gefühl unendlicher
Erleichterung fest, dass sie ruhig und kraftvoll brannte. Zumindest hatte Odin ihr nicht dasselbe angetan wie ihm.
»Das reicht«, sagte Odin, als Andrej bis auf drei oder vier
Schritte herangekommen war.
Er blieb gehorsam stehen, blieb aber auch weiter angespannt.
Seine Hand lag auf dem Schwertgriff, doch er hatte nicht vor,
die Waffe zu benutzen. Sollte Odin es ruhig glauben. »Also, ich
bin hier«, sagte er noch einmal. »Jetzt lass sie gehen.«
»Ich hatte nie vor, irgendetwas anderes zu tun«, antwortete
Odin. Andrej war jetzt nahe genug, um sein Gesicht erkennen zu
können, und was er darin las, schien die Worte des Weißhaarigen zu bestätigen. »Ich wollte nur sichergehen, dass du auch
allein kommst …« Er lächelte flüchtig. »Oder doch zumindest
nur in Begleitung deines schwarzen Freundes, der dort hinten im
Gebüsch lauert und glaubt, ich hätte ihn nicht bemerkt.«
Andrej schwieg, aber auf der rechten Seite der Lichtung
raschelte es im Unterholz, und als er den Kopf wandte, sah er,
wie Abu Dun aus seinem Versteck heraustrat und mit weit
ausgreifenden Schritten auf sie zukam. Er hatte den gewaltigen
Krummsäbel gezogen, und auf seinem Gesicht war nichts als
grimmige Entschlossenheit.
»Du kannst die Waffe wegstecken, mein Freund«, sagte Odin.
Er klang leicht amüsiert. »Ich bin nicht hier, um mit euch zu
kämpfen.«
»Aber vielleicht sind wir mit dieser Absicht gekommen«,
grollte Abu Dun. Mit raschen Schritten trat er neben Andrej und
dann wieder ein Stück zur Seite, sodass sie den Weißhaarigen
von zwei Seiten angreifen konnten, sollte es nötig sein. »Was
willst du?«
»Dich kennenlernen?«, fragte Odin. In seinem einzelnen Auge
glitzerte es amüsiert. »Ich habe schon eine Menge über dich
gehört, Abu Dun. Wie ich sehe, war nur sehr wenig davon
übertrieben.«
»Dann hoffe ich für dich, dass man dir auch das Richtige
erzählt hat.« Abu Dun deutete mit dem Säbel auf das bewusstlose Mädchen. »Du wirst sie gehen lassen. Sofort.«
»Du hast tatsächlich ein so
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