Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
tatsächlich hatte Andrej
nicht die geringste Ahnung, wie lange es dauern würde, bis sich
seine Kräfte erneuert hatten. Vielleicht nicht lange, vielleicht
auch viele Tage.
Thure, der bisher zusammen mit seinen Kriegern am Strand
gestanden und heftig gestikulierend geredet hatte, unterbrach
nun sein Gespräch mitten im Wort und eilte ihnen entgegen.
»Abu Dun! Ich bin erleichtert, dich wieder auf den Beinen zu
sehen!« Sein Blick streifte kurz Andrejs Gesicht, und er wirkte
irritiert, erschrocken, doch beließ es bei einem angedeuteten
Nicken. Er blieb am Ende der Planke stehen und streckte die
Hand aus, um Abu Dun zu stützen. Der Nubier ignorierte die
Geste und trat wortlos an ihm vorbei auf das Eis hinab. Thure
runzelte missbilligend (und ein bisschen beleidigt, wie es Andrej
vorkam) die Stirn, fuhr aber in unverändertem Ton und mit
erhobener Stimme fort: »Ich bin froh, dass deine Verletzung
doch nicht so schlimm war, wie es im ersten Moment ausgesehen hat. Wir alle haben uns schon große Sorgen um dich
gemacht.«
Abu Dun schenkte ihm keinen Blick, ging ein paar Schritte
weit den Strand hinauf und zog mit einem demonstrativen
Frösteln den Mantel enger um die Schultern zusammen. Andrej
entging nicht, dass die meisten Männer in seiner unmittelbaren
Nähe unauffällig ein kleines Stück vor ihm zurückwichen, und
die, die es nicht taten, kostete es sichtliche Überwindung. Ihre
Blicke sprachen Bände. Abu Duns Auftauchen sorgte, gelinde
gesagt, für Erstaunen.
»Missfällt dir irgendetwas, Abu Dun?«, wollte Thure wissen.
»Ich habe meinen Säbel verloren«, maulte Abu Dun. »Du
kannst es vielleicht nicht verstehen, aber ein Mann fühlt sich
nackt ohne seine Waffe.«
Zu Andrejs Erleichterung ignorierte Thure die Spitze und
lächelte sogar beinahe schelmisch. »Wenn das so ist, dann haben
wir das hier ja nicht ganz umsonst geschmiedet.«
Und Thure zog, ohne die geringste Mühe, das riesige Schwert
unter dem Mantel hervor, das Abu Dun und er am ersten Tag in
der Schmiede angefertigt hatten, um es dem Nubier zu reichen.
»Das heißt, wenn es dir nicht zu schwer ist …«
Einen halben Atemzug lang blickte Abu Dun den Nordmann
ungläubig an, dann streckte er – zögernd – die Hand nach dem
Schwert aus. Einen Moment lang wog er es prüfend in der Hand,
dann schob er die Waffe wortlos unter den Gürtel, drehte sich
ebenso wortlos um und ging.
»Ja, er scheint schon wieder ganz der Alte zu sein«, sagte Urd
spöttisch.
»Alles in Ordnung?«, murmelte Thure.
»Sicher«, erwiderte Andrej. »Du solltest Abu Dun mittlerweile
doch kennen.«
»Ich rede nicht von ihm«, antwortete Thure.
Andrej hatte Mühe, sich sein Erschrecken nicht anmerken zu
lassen. Sah man es ihm so deutlich an? »Keine Sorge. Ich bin
…« Er versuchte ein verlegenes Grinsen zu schauspielern. »Ich
fürchte, ich war noch nie besonders seefest.«
»Hast du mir nicht erzählt, du wärst früher selbst Kapitän
eines Schiffes gewesen?«, fragte Thure.
Andrejs Grinsen wurde noch verlegener. »Genau das war ja
mein Problem.« Dann schüttelte er heftig den Kopf. »Eine Weile
festen Boden unter den Füßen, und es geht mir wieder besser.«
Thures Blick war nun endgültig zweifelnd, doch Andrej ließ
ihm keine Zeit, diesen Zweifel in Worte zu fassen, sondern ging
rasch an ihm und auch Abu Dun vorbei den Strand hinauf. Die
Männer machten ihm ebenso bereitwillig Platz, wie gerade dem
Nubier, und musterten ihn, genau wie Abu Dun, mit scheuen
Blicken. Nicht zum ersten Mal, aber mit einer neuen und
schmerzhaften Intensität, wurde ihm klar, dass all diese Krieger
Abu Dun und ihn in Wahrheit fürchteten. Niemand hatte es
gewagt, es laut auszusprechen, aber spätestens seit Thures
entlarvendem Angriff im Langhaus hielten sie sie vermutlich für
Dämonen. Wie groß musste ihre Angst vor den Bewohnern
dieser Insel sein, wenn sie trotzdem bereit waren, sich ihrer
Führung anzuvertrauen?
Er schüttelte auch diesen Gedanken ab. Für solcherlei Überlegungen war es nun zu spät.
Stattdessen sah er sich zum ersten Mal aufmerksam in dieser
neuen, weißen Welt um. Die kurze Dämmerung war beinahe
vorüber, und am Horizont zu seiner Linken tauchten die
Schatten mächtiger, unter weißen Eispanzern liegender Berge
auf, deren Gipfel mit dem tief hängenden Himmel zu verschmelzen schienen. Irgendwo dazwischen meinte er vage, eine
Bewegung zu erkennen, doch als er genauer hinsah, war sie
verschwunden. Die Kälte war so grausam

Weitere Kostenlose Bücher