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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erlebt hatte, aber es war anders, und es tat auf eine Art weh, die
schlimmer war als jeder körperliche Schmerz, denn diesmal war
es kein Feind, der seine Kraft stahl, sondern der Mensch, dem er
auf der ganzen Welt und in seinem nahezu unendlichen Leben
am meisten vertraute. Und er spürte das Ungeheuer, das auch in
Abu Dun lauerte, der dunkle Bruder seiner eigenen Nemesis, die
Bestie, die sie alle tief in sich trugen und die ihnen letzten Endes
erst die Kraft gab, das zu sein, was sie waren. Als sich Abu
Duns unsichtbare Hand zurückziehen wollte, erwachte das Tier
mit einem Heulen unstillbarer Gier zum Leben, fegte seine Hand
beiseite und griff nun ihrerseits nach Andrejs Kraft, um auch
noch das letzte Fünkchen davon aus ihm herauszureißen.
Instinktiv versuchte Andrej sich zu wehren, aber es war zu spät
und Abu Dun zu stark für ihn. Er spürte, wie er auf einen
dunklen, mahlenden Abgrund gerissen wurde und – Dann war es
vorbei.
Abu Dun sank mit einem Laut furchtbarer Anstrengung zurück
und ballte die Hände mit solcher Kraft zu Fäusten, dass seine
Gelenke knackten, und auch Andrej sank nach vorne und wäre
gestürzt, hätte er nicht die Arme ausgestreckt und sich abgefangen, ohne es auch nur zu merken. Alles drehte sich um ihn, und
der schwarze Abgrund war noch immer da und versuchte, ihn zu
verschlingen. Er fühlte sich schwach, so unendlich müde, dass
er nichts lieber getan hätte, als die Augen zu schließen und zu
schlafen.
Aber wenn er diesem Wunsch nachgab, dann würde er nie
wieder aufwachen.
Mit aller Kraft, die er noch in sich fand, zwang er sich, die
Augen zu öffnen und Abu Dun anzusehen. Das Gesicht des
Nubiers war grau vor Anstrengung, und auch in seinen Augen
stand eine Furcht geschrieben, die mindestens so groß war wie
die, die Andrej empfand. Wahrscheinlich größer, denn das, was
Andrej fürchtete, war er selbst.
»Ist … alles in Ordnung?«, murmelte Andrej.
»Wenn du wissen willst, ob ich noch ich selbst bin, lautet die
Antwort ja « , erwiderte der Nubier undeutlich, schüttelte wie
benommen den Kopf und zwang sich dann zu einem schiefen
Grinsen. »He, eigentlich sollte ich dir diese Frage stellen, meinst
du nicht?« Plötzlich wurde er sehr ernst. »War es schlimm?«
»Und bisher dachte ich, es wäre Thure.«
»Thure wäre was? «
»Derjenige, der die dümmste Frage gestellt hat, an die ich
mich erinnere.«
Abu Dun tat so, als müsse er überlegen, und setzte dann zu
einer vermutlich typischen Abu-Dun-Antwort an, fuhr dann aber
plötzlich hoch und sah an ihm vorbei. Andrej drehte sich ebenso
hastig herum (und prompt wurde ihm schwindelig) und hatte
abermals das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Ein Schatten
verschwand hinter der Zeltplane, und er glaubte leichte, schnelle
Schritte zu vernehmen. Er tauschte zuerst einen fragenden Blick
mit Abu Dun, ehe er mühsam die Hand hob und den Stoff zur
Seite schlug. Niemand stand nahe beim Zelt, aber nur wenige
Schritte entfernt entdeckte er Urd, die zu ihm hinsah. Und was
Andrej in ihrem Gesicht las, das traf ihn wie ein Stich ins Herz.
»Urd?«, fragte Abu Dun.
»Woher weißt du das?«
»Weil sie eine Frau ist, und damit neugierig«, antwortete Abu
Dun lachend. Aber seine Augen blieben ernst, und nach einem
Moment wurde er es auch wieder. »Sag es ihr nicht, Hexenmeister. Nicht, bevor du sie –«
Zu einer von uns gemacht hast? Andrej wusste nicht, ob er das
konnte. Sie hatten nichts anderes als Odins Wort, dass es
möglich war; und er war nicht einmal sicher, ob er es überhaupt wollte. Nicht so.
Wortlos und müde kroch er auf Händen und Knien aus dem
Zelt. Seine Glieder fühlten sich an, als wären sie mit Blei
gefüllt. Urd sah ihn immer noch aus einiger Entfernung mit
steinernem Gesicht an. Er vermochte nicht zu sagen, ob er
Furcht in ihren Augen las.
»Bleib noch im Zelt«, sagte er halblaut und auf Arabisch. »Du
verlässt es besser erst, wenn wir anlegen.«
Abu Dun grummelte eine Antwort, die er nicht verstand,
schlug die Zeltplane aber hinter ihm zu. Andrej schlang den
Mantel enger um die Schultern, als er die grimmige Kälte
plötzlich mit unerwarteter Heftigkeit spürte. Es begann hell zu
werden, und es wurde wärmer. Es war seine eigene Schwäche,
die ihn frösteln ließ. Er fühlte sich, als wäre er zur Ader gelassen
worden. Höchste Zeit, dass er wieder zu Kräften kam. Die Fenrir näherte sich mit gleichmäßigen langsamen Ruderschlägen der Küste und würde sie bald

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