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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zweiten, bequemeren Weg zurück zur Küste geben sollte. Sie waren in einer
unordentlichen Reihe auf dem schmalen Weg zwischen der
Felswand und dem erfrorenen Wald marschiert, was ein Umweg
war, jedem Beobachter (und Andrej war sicher, dass jeder ihrer
Schritte aufmerksam beobachtet wurde, ganz egal, was Thure
auch behauptete) aber sinnvoll erscheinen musste, denn der
Boden war eben und fest, und es gab keinerlei Hindernisse und
nichts, was als Hinterhalt hätte dienen können. Dann war Thure
plötzlich verschwunden, wie durch Zauberei, und ebenso
plötzlich wieder aufgetaucht, und erst in diesem Moment hatte
auch Andrej den Höhleneingang gesehen. Das halbe Hundert
handverlesener Männer, das Thure ausgesucht hatte, um sie zu
begleiten, war einer nach dem anderem in der Höhle verschwunden. Andrej war beinahe sicher, dass nicht einmal er es
gemerkt hätte, hätte er irgendwo dort draußen im Wald auf der
Lauer gelegen und sie beobachtet. Sein Plan schien hundertprozentig aufzugehen. Und doch … da war einfach das nagende
Gefühl in ihm, irgendetwas übersehen zu haben. Etwas war
nicht so, wie es den Anschein hatte.
»Wie lange noch?«, fragte er.
»Bis es dunkel wird?« Thure lachte ganz leise, und diesmal
klang es ohne Zweifel spöttisch. »Etwas weniger als in dem
Moment, in dem du mir diese Frage das letzte Mal gestellt hast.«
Andrej hörte ein vom leisen Klimpern von Metall bekleidetes
Rascheln, als er die Schultern hob.
»Aber ich sehe gerne nach, wenn es dich beruhigt.«
Andrej sah einen Moment lang aufmerksam an Thure vorbei
zum Ausgang. Das blassgraue Licht dort war schwächer
geworden, seit er das letzte Mal hingesehen hatte, und er sagte
sich selbst nicht zum ersten Mal, dass er sich so närrisch und
nervös benahm wie ein Rekrut, der vor seiner ersten richtigen
Schlacht stand. »Nein«, sagte er. »Wir warten.« Und wenn, fügte er in Gedanken hinzu, dann schicke ich ganz bestimmt
nicht dich hinaus. Auch das war etwas, was er selbst nicht
wirklich verstand und wofür er sich schon hundertmal getadelt
hatte. Er traute Thure einfach nicht. Andrej wusste mit vollkommener Sicherheit, wie falsch dieses Misstrauen war –
niemand war in der Lage, Abu Dun und ihn zu belügen. Es hatte
nichts mit dem zu tun, was sie waren. Andrej war bisher erst
einem einzigen ihrer Art begegnet (zwei, wenn er Odin mitzählte), der tatsächlich imstande war, seine Gedanken zu lesen, doch
wenn man Jahrhunderte Zeit hatte, die Menschen zu studieren,
dann lernte man irgendwann, mit sicherem Gespür Wahrheit von
Lüge zu unterscheiden. Thure mochte ein Dummkopf sein. Ein
angeberisches Großmaul, das sich allein auf die Kraft seiner
gewaltigen Muskeln und seine beeindruckende Erscheinung
verließ, und er war gewiss kein guter Mensch. Aber er war kein
Verräter. Trotzdem hatte Andrej ihn seit ihrem Gespräch am
Waldrand keine Sekunde mehr aus den Augen gelassen, und
aller Logik und allen gegenteiligen Argumenten, die er sich
selbst lieferte, zum Trotz blieb er tief in sich davon überzeugt,
dass es richtig gewesen war.
»Ganz, wie du willst«, antwortete Thure, leicht beleidigt.
»Wir warten noch eine Weile«, antwortete Andrej, »und dann
schicke ich Abu Dun hinaus.«
»Weil du mir nicht traust?«, fragte Thure geradeheraus.
»Weil ich keinen anderen Menschen kenne, der sich so lautlos
und unauffällig bewegen kann«, antwortete Andrej. »Nicht
einmal ich.« Das entsprach der Wahrheit, war aber zugleich weit
entfernt von seinen tatsächlichen Beweggründen, und er war
sich ziemlich sicher, dass Thure das zumindest ahnte. Der
Nordmann enthielt sich jeglichen Kommentars, aber Andrej
fügte trotzdem und in noch bestimmterem Ton hinzu: »Abu Dun
geht.«
Wenn er ihn fand, hieß das. Der Nubier hatte die Höhle als
Erster betreten, um sie auszukundschaften und nach verborgenen Gefahren Ausschau zu halten, und war noch immer
irgendwo hinter ihnen, am Ende des schmalen Spaltes, der tief
in den Berg hineinführte. Andrej konnte seine Gegenwart
spüren, zwar nur ganz schwach, aber trotzdem unverkennbar, so,
wie er die Anwesenheit eines anderen Unsterblichen stets fühlte;
wie etwas Vertrautes und nicht Greifbares, das dennoch einfach da war. Dann versuchte er sich vorzustellen, wie es sein musste,
sich durch einen kaum einen Meter breiten Felsspalt zu quetschen, der nicht nur dunkel war, sondern in dem sich die Männer
so dicht aneinanderdrängten, wie es der knappe Raum zuließ,
und besann

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