Das Daemonenschiff
fragte Thure. »Odin weiß längst, dass wir
kommen. Oder glaubt ihr etwa ernsthaft, dass diese Piraten ganz
zufällig ausgerechnet jetzt hier aufgetaucht sind?«
Nein, das glaubte Andrej tatsächlich nicht. Aber er konnte sich
auch keinen Gott vorstellen, der sich der Hilfe von Piraten versichern musste, um sich zu verteidigen. »Wir brauchen eine
Stunde?« fragte er.
»Mehr, wenn wir die Verwundeten mitnehmen«, antwortete
Thure.
»Dann lassen wir sie zurück.«
Nicht nur Abu Dun starrte ihn ungläubig an. Auch Thure
blinzelte überrascht und setzte zu einer passenden Frage an,
doch Andrej schnitt ihnen mit einer herrischen Handbewegung
beiden das Wort ab. »Wir lassen die Verwundeten hier«, sagte
er. »Zusammen mit fünfhundert Mann, die sie beschützen.«
»Wie?«, murmelte Thure.
»Wir nehmen deine fünfzig besten Krieger mit«, sagte Andrej
bestimmt. »Der Rest bleibt hier, um unseren Rückzug zu decken
und auf die Verwundeten aufzupassen … und auf deine Schwester.«
Das brachte Thure für einen Moment zum Nachdenken – aber
schließlich schüttelte er nur abermals den Kopf. »Du willst den
falschen Gott mit nur fünfzig Männern angreifen? Das ist
Wahnsinn. Wir wissen nicht einmal genau, was –«
»– uns erwartet?«, unterbrach ihn Andrej. »Das stimmt. Aber
ich bin sicher, dass es nichts ist, was fünfhundert Männer besser
bewältigen könnten als fünfzig. Es würden nur noch mehr von
ihnen sterben. Lass den größten Teil deiner Männer abziehen
und dabei möglichst viel Lärm verursachen. In diesem sonderbaren Wald dürfte ihnen das nicht besonders schwerfallen. Wenn
die Piraten wirklich noch hier sind, dann lenkt sie das vielleicht
lange genug ab, damit wir ungesehen verschwinden können.« Er
zuckte mit den Achseln. »Ich kann dir natürlich nichts befehlen.
Du wolltest meinen Rat. Das ist er.«
»Du willst nicht, dass meine Männer in die Schlacht ziehen,
weil du um ihre Leben fürchtest, aber du hast kein Problem
damit, sie als Köder zu benutzen?«, vergewisserte sich Thure.
»Eine sonderbare Logik.«
»Sie werden sie nicht angreifen«, sagte Andrej. »Nicht wenn
sie glauben, dass wir uns zurückziehen.« Er hob die Hände mit
unschuldigem Gesicht. »Aber wie gesagt: Es ist deine Entscheidung.«
Thure schwieg. Lange. Aber schließlich nickte er. »Ein guter
Plan. Riskant für die, die weitergehen, aber sicher für die
anderen … und vor allem für Urd. Er könnte aufgehen … aber
dann haben wir keine Zeit mehr zu verlieren. Wir brauchen ein
Versteck, und das, bevor es hell ist.«
»Ein Verstecke für fünfzig Männer?«, fragte Abu Dun.
»Es könnte ein bisschen eng werden«, räumte Thure ein.
»Aber es gibt eine Höhle, nicht weit von hier. Wenn wir ein
bisschen zusammenrücken, müsste es gehen. Und bevor du es
sagst«, wandte er sich in schärferem Ton an Abu Dun, »wir
haben sie damals entdeckt, als wir Schutz vor der Kälte gesucht
haben.«
»Natürlich«, sagte Abu Dun.
»Bitte«, mischte sich Andrej ein. Abu Dun zog eine Grimasse,
aber er behielt immerhin die nächste Bemerkung für sich, die
ihm deutlich sichtbar auf der Zunge lag. Und auch Thure erwies
sich als vernünftiger, als Andrej befürchtet hatte. Er drehte sich
nur wortlos herum und ging. Andrej folgte dem Nordmann.
Die Höhle war nicht ganz so klein, wie Andrej nach Thures
Beschreibung befürchtet hatte. Nicht, dass er tatsächlich etwas
sehen konnte: Thure selbst und er waren die Letzten, die sich
unter dem weit überhängenden Felsen, der den Eingang tarnte,
hereingebückt hatten, und der Nordmann hatte seinen Kriegern
bei Androhung der Todesstrafe verboten, eine Fackel oder auch
nur das winzigste andere Licht zu entzünden, sodass in dem
schmalen, niedrigen Schlauch vollkommene Dunkelheit
herrschte, nur erfüllt von den Gerüchen und Lauten des halben
Hunderts Männer, die sich in der Enge der steinernen Kaverne
drängten. So war Andrej ganz auf das angewiesen, was ihm
seine anderen Sinne mitteilten. Dies aber reichte, um ihn zu
beunruhigen.
»Du siehst nicht gerade begeistert aus, Andrej. Was bereitet
dir Sorge? Es war deine eigene Idee.«
Andrej fragte sich, woher Thure eigentlich wissen wollte, wie
er aussah. In der Höhle war es so dunkel, dass selbst er das
Gesicht des Nordmannes nur als verwaschenen grauen Fleck in
einem Meer aus den unterschiedlichsten Grauschattierungen
erkennen konnte. Trotzdem wandte er sich ganz dem hünenhaften Krieger zu und sah dort
Weitere Kostenlose Bücher