Das Daemonenschiff
Namen doch gerade selbst genannt«, antwortete Odin.
»Dann frage ich anders«, sagte Andrej. Odin sah einen Moment lang nicht in seine Richtung, aber Andrej widerstand der
Versuchung, die Gelegenheit zu nutzen, sich ihm unauffällig zu
nähern. » Was bis du?«
Die Frage schien den Weißhaarigen zu verblüffen. »Nun«,
sagte er nach einem Moment, in nachdenklichem Ton. »Das da
oben sind Hugin und Munin, Odins Raben. Dort hinten im Wald
wartet Sleipnir, Odins Schlachtross, und ich habe nur ein Auge,
lebe schon so lange, wie es diese Inseln gibt, und kann nicht
getötet werden (was zu beweisen wäre, dachte Andrej), also
könnte es gut sein, dass die Menschen hier wissen, wer ich bin.
Wenn du sie fragst, werden sie vielleicht antworten: Odin, unser
Gott.«
»Ich glaube nicht an Götter.«
»Das ist ein Fehler, Andrej«, antwortete Odin, und nun war er
es, der näher kam, entspannt und die Hand nicht einmal in der
Nähe seiner Waffe. »Ich bin schon einigen begegnet.«
»Ich nicht«, beharrte Andrej. »Jedenfalls keinen, die diese
Bezeichnung auch verdient hätten. Nur Unsterblichen, die
versucht haben, Götter zu spielen. Das ist ein Unterschied.«
»Das stimmt. Aber er ist nicht so groß, wie du glaubst. Eines
Tages wirst du das verstehen.« Odin schüttelte den Kopf, als
Andrej etwas erwidern wollte. »Ich habe von euch gehört,
Andrej, von dir und deinem großen schwarzen Freund. Ihr seid
selbst unter unserer Art zu einer gewissen Berühmtheit gelangt.«
»Sind wir das?«, fragte Andrej spröde.
»Ja … aber ich bin nicht sicher, ob es die Art von Berühmtheit
ist, die euch gefallen würde«, antwortete Odin, »aber dafür um
so sicherer, dass es sinnlos wäre, mit dir darüber zu reden.
Irgendwann wirst du verstehen, was ich meine … wenn du lange
genug lebst, heißt das.«
»Du willst mir drohen«, sagte Andrej.
Die Überraschung in Odins Augen war nicht gespielt. »Drohen?« Er wirkte verletzt, lachte dann aber plötzlich wieder und
kam einen weiteren Schritt näher. »Gewiss nicht, Andrej. Nein –
ganz im Gegenteil. Ich bin hier, weil ich dir einen Rat geben
will.«
»Und der wäre?«
»Geh fort, Andrej«, antwortete Odin. »Du und dein Freund, ihr
solltet an Bord eines dieser Schiffe gehen, die dort unten vor
Anker liegen, und wieder in eure Heimat reisen.«
»Warum?«, fragte Andrej.
»Um dir weiteren Schmerz zu ersparen?«, schlug Odin vor.
Andrej lachte hart. »Ist das deine Art, mir zu sagen, dass wir
uns aus Dingen raushalten sollen, die uns nichts angehen?«
»Dein Herz hat an diesem Mädchen gehangen«, sagte Odin. Er
klang beinahe sanft. »Du bist zu stolz und zu hart gegen dich
selbst, um es zuzugeben, ich weiß, aber ich kann hören, wie
deine Seele blutet. Geh fort, Andrej. Geh mit Abu Dun fort, und
nimm das Mädchen mit, wenn du willst. Keine Angst – sie wird
leben. Und sie wird dich begleiten, wenn ihr Gott es ihr befielt.«
Vielleicht waren diese Worte ernst gemeint. Andrej entdeckte
keine Spur von Spott oder Heimtücke in Odins Blick – und
trotzdem machte ihn das Gesagte schier rasend. Seine Hand
schloss sich fester um den Schwertgriff, und für den Bruchteil
eines Atemzuges musste er sich mit aller Kraft beherrschen, um
die Waffe nicht zu ziehen und sich auf den Weißhaarigen zu
stürzen. Der einäugige Gott schien es nicht einmal zu bemerken.
»Du weißt nicht, was hier geschieht«, sagte er im milden Ton
eines Vaters, der seinem Sohn etwas zu erklären versucht, was
wichtig war, von dem er aber zugleich sehr wohl ahnte, dass er
es noch nicht verstehen konnte. Einem Ton, der Andrejs rasende
Wut nur noch weiter schürte. »Es täte mir aufrichtig leid, wenn
du etwas tun würdest, was du später bereutest.«
»Wie dich daran zu hindern, weiterhin mit diesen wehrlosen
Menschen zu spielen?«, fragte Andrej böse.
»Es ist kein Spiel, Andrej«, sagte Odin ernst.
»Dann erklär es mir«, fauchte Andrej. Odin musste seine Wut
spüren. Er machte keinen Versuch, sie zu verhehlen, und der
Unsterbliche war nicht nur auf Augen und Ohren angewiesen,
um in ihn hineinzuschauen. Er musste ahnen, wie es in Andrej
aussah, und vermutlich auch, was er tun würde, wenn er nur die
kleinste Chance dazu bekam. Fühlte er sich ihm so überlegen,
dass er dieses Risiko einging? War er es vielleicht wirklich?
»Erklär mir, warum du diese Ungeheuer geschickt hast, um
wehrlose Menschen niederzumetzeln!« Seine Stimme wurde
bitter. »Aber verzeih – ich hatte ganz
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