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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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benötigt wird.« Andrej wollte widersprechen, doch sie winkte energisch ab. »Und Thure und Björn
suchen nach dir. Sie haben mir aufgetragen, dich zu ihnen zu
schicken, wenn ich dich sehe. Sie warten im Haus des Königs
auf dich.«
Im Haus des Königs. Warum sagte sie nicht: Im Haus meines
Sohnes?, fragte sich Andrej. Er sah nur noch einmal lange und
traurig auf das bewusstlose Mädchen hinab – Keine Sorge – sie
wird leben – bevor er sich wortlos abwandte und die Schmiede
verließ.
Die Kälte sprang ihn an wie ein Raubtier, das geduldig in
seinem Versteck gelauert hatte, um seine eisigen Krallen in sein
Gesicht zu schlagen, und er begann schon nach dem ersten
Schritt mit den Zähnen zu klappern. Dennoch machte er sich
nicht die Mühe, seinen Mantel auf dem kurzen Weg noch einmal
überzustreifen, sondern ging schneller.
Wie Skuld es gesagt hatte, warteten Thure und sein Bruder an
der großen Tafel. Alle Stühle an dem langen Tisch waren
besetzt, und noch mehr Krieger lehnten müde an der Wand oder
hatten sich mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden
niedergelassen. Zum ersten Mal saß Björn jetzt auf dem geschnitzten Thron, der seiner neuen Stellung zukam. Andrej
schien es dennoch, als habe er sich nur deshalb dazu entschieden, weil es keinen anderen Sitzplatz mehr gab. Er hatte den
Kopf zurückgelehnt und die Augen geschlossen, und im ersten
Moment dachte Andrej, er würde schlafen. Dann aber öffnete er
die Augen, und Andrej begriff, dass ihn nicht nur körperliche
Müdigkeit plagte.
»König Björn«, sagte er mit einem angedeuteten Nicken.
»Björn genügt«, antwortete Björn. Er versuchte zu lächeln. Es
misslang. »Ich bin nicht dein König, Andrej.« Und vielleicht
will ich sogar niemandes König sein. »Nimm Platz und lass dir
etwas zu Essen und einen Becher Met bringen. Du musst müde
sein.«
»Nein, danke«, antwortete Andrej – nicht nur, weil es an der
voll besetzten Tafel keinen Platz gab, auf den er sich hätte
setzen können. Er zweifelte nicht daran, dass schon das fragende
Heben einer Augenbraue genügt hätte, um einen der Männer
aufstehen und seinen Stuhl für ihn räumen zu lassen, aber das
wollte er nicht. Er wollte auch nicht bei all diesen Kriegern
sitzen und essen und trinken, als wäre nichts anderes passiert als
eine weitere Schlacht in einem Leben, das aus einer endlosen
Aneinanderreihung von Kämpfen und Schlachten bestand.
»Wo ist Abu Dun?«, fragte er. Auf jeden Fall nicht hier. Das
Haus war so überfüllt, dass er selbst die hünenhafte Gestalt des
Nubiers nicht auf Anhieb gesehen hätte. In jedem Fall aber hätte
er seine Nähe gespürt.
»Draußen bei den Schiffen«, antwortete Thure an Björns
Stelle. »Er sagt, dass er lieber unter freiem Himmel schläft.« Er
deutete ein Achselzucken an und schürzte die Lippen. »Ich kann
ihn verstehen. Und es ist wahrscheinlich auch besser so.«
Andrej ging nicht auf die Herausforderung ein, die in seinen
Worten lag. Jedes Mal, wenn er glaubte, endlich Sympathie für
den riesigen Nordmann zu verspüren, schien Thure sich anzustrengen, seinen schlechten Ruf wiederherzustellen; anscheinend
konnte er nicht aus seiner Haut. Andrej wandte sich wieder an
Björn und sagte: »Wir haben die Insel gründlich abgesucht. Es
ist niemand da.«
»Ich weiß«, seufzte Björn. Andrej fiel erst jetzt auf, dass er
verletzt war. Seine linke Hand war verbunden, und sein Gesicht
mit zahllosen, winzigen roten Punkten gesprenkelt, wo ihn
glühende Funken getroffen hatten. Er musste noch einmal an die
Szene vom vergangenen Abend denken und begriff mit einer
Mischung aus sachtem Erstaunen und tiefem Schaudern, wie
knapp der junge König dem Tod entronnen war. Wäre Thure
auch nur einen halben Lidschlag später gekommen …
Andrej wollte nicht daran denken. Was für Björn galt, galt für
die meisten Männer hier drinnen noch viel mehr. Kaum einer,
der keine Verbände getragen hätte oder verschorfte Wunden auf
Gesicht und Händen hatte. Er räusperte sich. »Wie viele sind
ums Leben gekommen?«, fragte er.
Björn sah ihn nur traurig an, aber Thure antwortete. »Fast
zwanzig. Und nicht alle waren Krieger.«
So brutal ihm der Gedanke selbst vorkam – angesichts des
dämonischen Feindes, dem sie gegenübergestanden hatten, war
diese Zahl erstaunlich niedrig, dachte Andrej. Und als hätte er
diesen Gedanken gelesen, fügte Thure so, als wären die Worte
nicht allein an ihn gerichtet, sondern an alle im Raum,

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