Das Dampfhaus
Kaltblütigkeit, und indem er es gleichsam im Fluge auf’s Korn nahm, jagte er demselben eine Kugel entgegen, welche es freilich nur an einer Schulter verwundete.
Mit der Schnelligkeit eines Blitzes hatte die Tigerin sich auf unseren Freund geworfen, ihn zu Boden gestreckt und wollte ihm eben den Kopf mit einem furchtbaren Tatzenschlage zerschmettern… Da sprang Kâlagani hinzu, ein langes Messer in der Faust.
Der Aufschrei, der uns entfuhr, war noch nicht verhallt, als der muthige Hindu auf die Bestie losstürzte und diese gerade an der Kehle packte, als die rechte Tatze schon auf den Schädel des Kapitäns niederfallen sollte.
Gestört durch diesen unerwarteten Angriff, warf das Thier den Hindu durch eine Bewegung der Hüfte zu Boden und kehrte sich grimmig gegen diesen.
Kapitän Hod aber hatte sich mit einem Satze erhoben, ergriff das von Kâlagani verlorene Messer und bohrte es mit sicherer Hand der Katze tief in’s Herz.
Die Tigerin wälzte sich am Boden.
Höchstens fünf Minuten lang hatte die ganze aufregende Scene gewährt.
Kapitän Hod lag noch auf den Knieen, als wir zu ihm eilten. Kâlagaul, an der Schulter blutend, erhob sich eben wieder.
»Bag mahryaga! Bag mahryaga!« rief der Hindu, was so viel bedeutete als: Die Tigerin ist todt!
Ja wohl, sie war todt! Welch’ herrliches Thier! Zehn Fuß lang von der Schnauze bis zur Schwanzspitze, der Körper in passendem Verhältniß, mit ungeheueren, mit langen Krallen bewehrten Tatzen, die auf der Mühle des Schleifers zugeschärft schienen.
Während wir das Raubthier bewunderten, überhäuften es die Hindus, ihrem gerechten Grolle Luft machend, mit Schmähungen aller Art. Kâlagani hatte sich dem Kapitän genähert.
»Ich danke, Herr Kapitän! sagte er.
– Was hast Du zu danken? erwiderte der Kapitän, ich, lieber Freund, stehe in Deiner Schuld. Ohne Deine Hilfe wäre es um einen der Kapitäne der ersten Schwadron von den Carabiniers der königlichen Armee geschehen gewesen!
– Ohne Sie wäre ich jetzt todt! antwortete kühl der Hindu.
– Aber, alle Wetter, sprangst Du nicht mit dem Messer in der Hand auf die Tigerin zu, als sie mir eben die Hirnschale einhämmern wollte?
– Sie haben ihr aber den Todesstoß gegeben, Herr Kapitän; sie bildet Ihren siebenundvierzigsten!
– Hurrah! Hurrah! schrieen die Hindus. Hurrah dem Kapitän Hod!«
Der Kapitän war allerdings berechtigt, diese Tigerin auf sein Conto zu schreiben, aber er dankte auch Kâlagani durch einen warmen Händedruck.
»Kommt mit nach dem Steam-House, wandte sich Banks an Kâlagani. Euere Schulter ist durch einen Tatzenschlag zerrissen; in unserer Reise-Apotheke werden wir hoffentlich Mittel finden, diese Wunde zu heilen!«
Kâlagani verneigte sich zustimmend, und nachdem wir von den Bergbewohnern, welche uns mit Dankesbezeigungen überschütteten, Abschied genommen, begaben wir uns wieder nach dem Sanatorium zurück.
Die Chikaris verließen uns, um nach dem Kraal zu gehen. Auch diesesmal kehrten sie mit leeren Händen zurück, und wenn Mathias Van Guitt auf jene »Königin von Tarryani« gerechnet hatte, so blieb ihm nichts weiter übrig, als diese zu bedauern. Unter den gegebenen Verhältnissen war es wirklich unmöglich, dieselbe lebendig zu fangen.
Gegen Mittag trafen wir wieder bei dem Steam-House ein. Hier wartete unser eine unangenehme Ueberraschung. Zu unserem größten Bedauern waren Sir Edward Munro, Sergeant Mac Neil und Goûmi weggereist.
Ein an Banks gerichtetes Billet theilte diesem zur Beruhigung mit, Sir Edward Munro wolle, geleitet auch von dem Verlangen, einen Ausflug bis zur Grenze von Nepal vorzunehmen, dabei gewisse Zweifel, welche noch über die Genossen Nana Sahib’s herrschten, aufklären, und er werde sicherlich zurück sein, bevor die Zeit für die Abfahrt aus dem Himalaya herankäme.
Bei der Vorlesung dieser Zeilen schien es mir, als ob Kâlagani eine halb ärgerliche Bewegung machte.
Weshalb diese Bewegung? Ich täuschte mich wahrscheinlich.
Fünftes Capitel.
Nächtlicher Ueberfall.
Die Reise des Oberst Munro erregte in uns doch eine lebhafte Unruhe.
Während wir das Raubthier bewunderten. (S. 278)
Er handelte offenbar in der Erinnerung an eine Vergangenheit, die wir längst für immer abgeschlossen glaubten. Doch was war zu thun? Den Spuren Sir Edward Munro’s nachzugehen? Wir wußten ja nicht, welche Richtung er eingeschlagen, welches Ziel zu erreichen er sich vorgenommen habe. Andererseits konnten wir uns nicht verhehlen,
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