Das Dampfhaus
Belagerung von Khanpur. Sie kam also langsamen Schrittes zurück. Ihre Hand, welche den brennenden Zweig hielt, strich auf dem metallenen Rohre hin, und es genügte ja ein Funke, der auf das Zündloch fiel, den Schuß abzufeuern.
Sollte Oberst Munro gar von ihrer Hand sterben?
Er konnte, er mochte den Gedanken nicht ertragen. Nein, nun wollte er vor den Augen Nana Sahib’s und seiner Helfershelfer in den Tod gehen.
Munro wollte rufen, wollte selbst seine Henker wecken!…
Da fühlte er von dem Innern des Geschützes her eine Hand die seinen drücken, die ja auf dem Rücken festgebunden waren. Das war offenbar eine Freundeshand, die seine Fesseln zu lösen versuchte. Bald verrieth ihm die Kälte einer Stahlklinge, welche vorsichtig zwischen den Stricken und seinen Händen eindrang, daß in der Seele dieses ungeheueren Geschützes sich – Gott weiß, durch welches Wunder! – ein Befreier befinden mußte.
Er konnte sich nicht täuschen! Die Stricke, die ihn hielten, wurden zerschnitten!…
In einer Secunde war das geschehen! Er konnte einen Schritt vorwärts thun… Er war frei! So sehr er sich zu beherrschen wußte, er mußte jetzt sehr an sich halten, denn ein Ausruf hätte ihn wieder in’s Verderben gestürzt.
Aus dem Geschütze ragte eine Hand hervor… Munro ergriff diese, zog, was er konnte, und ein Mann, der mühsam aus der Rohrmündung herauskroch, fiel zu seinen Füßen nieder.
Es war Goûmi.
Der treue Diener hatte, nachdem es ihm gelungen, zu entfliehen, die Straße nach Jubbulpore eingeschlagen, auf der auch Nassim mit seinen Leuten dahinzog. Da, wo der Weg nach Ripore abzweigt, mußte er sich noch einmal verbergen. Er hörte von einer daselbst lagernden Gruppe Hindus von Oberst Munro sprechen, den die Dacoits unter Kâlagani’s Führung nach der genannten Veste schleppen würden, wo Nana Sahib ihn mit der großen Kanone erschießen lassen wolle. Ohne Zögern war Goûmi auf einem schmalen, sich vielfach windenden Fußpfade davongeschlichen und hatte den Platz an dem Fort erreicht, als sich Niemand daselbst befand. Da kam ihm der heroische Gedanke, in das ungeheuere Geschütz zu kriechen, seinen Herrn, wenn es anging, auf diese Weise zu befreien oder mit ihm zusammen denselben Tod zu erleiden.
»Es wird bald Tag werden, sagte Goûmi mit verhaltener Stimme. Wir müssen fliehen!
– Und Lady Munro?«
Der Oberst zeigte auf die Wahnsinnige, welche wie versteinert dastand. Ihre Hand ruhte auf dem Bodenstück der Kanone.
»Wir tragen sie fort… Herr…« antwortete Goûmi, ohne eine weitere Erklärung zu verlangen.
Es war zu spät.
In dem Augenblick, als der Oberst und Goûmi sich ihr näherten, um sie mitzunehmen, klammerte sie sich mit der Hand, so gut es ging, an das Geschütz, der brennende Zweig fiel dabei auf dieses nieder und eine furchtbare Detonation, welche das Echo der Vindhyas noch verdoppelte, erfüllte mit Donnerrollen das ganze Thal der Nerbudda.
Dreizehntes Capitel.
Stahlriese!
Bei dem Krachen des Schusses fiel Lady Munro ohnmächtig in die Arme ihres Gatten.
Ohne einen Augenblick zu verlieren, eilte der Oberst mit ihr und gefolgt von Goûmi quer über den Vorplatz. Dem Wächter, der, durch den Krach erweckt, emporsprang, bohrte Goûmi sein langes Messer in die Brust. Dann stürzten Beide nach dem kleinen Fußwege, der nach der Straße von Ripore führte.
Sir Edward Munro und Goûmi hatten kaum das Thor hinter sich, als die plötzlich erwachte Truppe Nana Sahib’s schon den Platz vor ihrer Kaserne erfüllte.
Die Hindus wußten zuerst nicht, was sie thun sollten, wodurch die Flüchtlinge einen kleinen Vorsprung bekamen.
Nana Sahib selbst verweilte nämlich nur selten die Nacht hindurch auf der Veste. Auch am letzten Abend hatte er, nachdem Oberst Munro vor die Kanonenmündung gebunden worden war, einige Führer der Goudwana-Stämme aufgesucht, was er am hellen Tage gern vermied. Jetzt war aber schon die Stunde herangekommen, wo er gewöhnlich zurückkehrte, und er konnte jeden Augenblick erscheinen.
Kâlagani, Nassim, die Hindus, die Dacoits, zusammen wohl über hundert Mann, waren bereit, den Spuren des Flüchtlings zu folgen. Nur ein Gedanke hielt sie davon ab. Sie wußten ja gar nicht, was überhaupt vorgefallen war. Die Leiche des Hindus, der bei dem Oberst gewacht hatte, konnte ihnen natürlich keinen Aufschluß geben. Sie vermochten also nichts Anderes anzunehmen, als daß durch einen unerklärten Zufall vor der Hinrichtungsstunde Feuer an das Geschütz gekommen und
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