Das Darwin-Virus
erklären, die du nicht verstehst oder selbst nicht glaubst.
»Ich sage es noch einmal: Wir arbeiten hier nicht isoliert vor uns hin«, sagte Bao und schüttelte den Kopf. »Wir gehen in dieser Klinik auf die Entbindungsstationen und in die Operationssäle, außerdem suchen wir auch andere Krankenhäuser auf. Wir erleben die Qualen der Frauen und Männer mit. Wir brauchen irgendeine rationale Vorgehensweise, die all diese Einsichten und bedrückenden Erfahrungen berücksichtigt.«
Dicken runzelte konzentriert die Stirn. »Mark sieht nur die medizinische Realität. Und politisch herrscht keine Einigkeit«, fügte er leise hinzu. »Wir leben in einer gefährlichen Zeit.«
»Das ist noch milde ausgedrückt«, sagte Meeker. »Christopher, nach meinem Dafürhalten ist das Weiße Haus gelähmt. Wenn du etwas tust, bist du der Buhmann, und wenn du nichts tust und die Dinge laufen lässt, bis du erst recht der Buhmann.«
»In Maryland beteiligt sich sogar schon der Gouverneur höchstpersönlich an dem so genannten nationalen Gesundheitsaufstand«, bemerkte House. »Bei den religiösen Rechten hab’ ich noch nie einen derart glühenden Eifer erlebt.«
»Es sind nicht nur die Christen, eigentlich ist es die ganze Basis der Gesellschaft«, sagte Bao. »Die chinesische Gemeinschaft ist in Deckung gegangen, und das mit gutem Grund. Der blinde Fanatismus ist auf dem Vormarsch. Wir sind dabei, wieder in verängstigte, unglückliche Volksstämme zu zerfallen, Christopher.«
Dicken starrte auf die Tischplatte und blickte dann zu den Zahlen auf der Schreibtafel. Eines seiner Augenlider zuckte vor Müdigkeit. »Es quält uns alle«, sagte er. »Es quält Mark, und es quält mich.«
»Ich bezweifle, dass es Mark genauso quält wie die Mütter«, sagte Bao leise.
71
Oregon
10. Mai
»Ich bin ein ungebildeter Mensch, und vieles verstehe ich nicht«, sagte Sam. Er stützte sich auf den Jägerzaun, der die eineinhalb Hektar Land umgab, das zweistöckige hölzerne Farmhaus, die alte, halb verfallene Scheune, den Geräteschuppen aus Ziegelsteinen.
Mitch steckte die freie Hand in die Tasche und stellte mit der anderen eine Dose Bier auf den von Flechten grauen Zaunpfahl. Eine schwerfällige, schwarzweiße Kuh, die auf einem Teil der fünf Hektar des Nachbarn graste, sah sie nahezu ohne Neugier an.
»Wie lange kennst du diese Frau? Erst zwei Wochen?«
»Etwas über einen Monat.«
»Ganz schön stürmische Affäre!«
Mitch stimmte mit verlegenem Blick zu.
»Warum so eilig? Warum will jemand ausgerechnet in der heutigen Zeit unbedingt schwanger werden? Deine Mutter hat die Hitzewallungen schon vor zehn Jahren hinter sich gebracht, aber seit der Herodes-Grippe ziert sie sich, wenn ich sie anfassen will.«
»Kaye ist anders«, sagte Mitch, als müsse er etwas beichten. Sie waren heute Nachmittag auf dem Umweg über viele andere Themen auf diese Frage zu sprechen gekommen. Am schwierigsten war für Mitch das Geständnis gewesen, dass er sich gegenwärtig nicht mehr um eine Stelle bemühte und sie vor allem von Kayes Geld leben würden. Das fand Sam völlig unbegreiflich.
»Wo bleibt denn da die Selbstachtung?«, hatte er gefragt. Kurz darauf hatten sie das Thema fallen lassen und sich wieder über die Vorgänge in Österreich unterhalten.
Mitch hatte erzählt, wie er im Haus von Daney mit Brock zusammengetroffen war, und darüber hatte Sam sich köstlich amüsiert. »Da sind die Wissenschaftler baff«, war sein trockener Kommentar gewesen. Als sie schließlich über Kaye sprachen, die sich immer noch in der Küche mit Mitchs Mutter Abby unterhielt, hatte sich Sams Verwunderung zu Gereiztheit und dann zu richtiger Verärgerung gesteigert.
»Vielleicht bin ich abgrundtief dumm, das gebe ich ja zu«, sagte Sam, »aber ist es nicht verdammt gefährlich, so was gerade jetzt absichtlich zu machen?«
»Könnte sein«, räumte Mitch ein.
»Aber um Himmels willen, warum warst du dann einverstanden?«
»Das ist nicht ohne weiteres zu beantworten«, sagte Mitch. »Erstens glaube ich, dass sie Recht haben könnte. Das heißt, ich glaube, sie hat Recht. Gerade jetzt werden wir ein gesundes Baby bekommen.«
»Aber du bist im Test positiv, sie ist positiv«, sagte Sam und starrte ihn an. Seine Hände umklammerten den Zaun. »Stimmt.«
»Sag’ mir, wenn ich Unrecht habe, aber es hat doch noch nie eine Frau mit positivem Test ein gesundes Kind zur Welt gebracht.«
»Bisher nicht«, bestätigte Mitch. »Verdammt schlechte
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