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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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fast seit ich erwachsen bin«, sagte Dicken. »Ich habe gesehen, was sie anrichten können. Ich kenne mich mit Retroviren aus, ich weiß über HERVs Bescheid. Ich weiß über SHEVA Bescheid. Die HERVs wurden wahrscheinlich deshalb nicht aus dem Genom beseitigt, weil sie Schutz gegen andere, neuere Retroviren boten. Sie sind unser eigenes kleines Verteidigungsarsenal. Und … unser Genom nutzt sie, um Neuerungen hervorzubringen.«
    »Das wissen wir nicht«, sagte Augustine. Seine Stimme krächzte vor Anspannung.
    »Ich möchte auf die wissenschaftlichen Ergebnisse warten, bevor wir alle Mütter in Amerika einsperren«, sagte Dicken.
    Als Augustines Haut vor Verwirrung und dann vor Ärger dunkler wurde, traten die Granatsplitternarben deutlicher hervor. »Die Gefahr ist einfach zu groß«, sagte er. »Ich dachte, Sie wüssten die Chance zu schätzen, wieder auf der Bildfläche zu erscheinen.«
    »Nein«, erwiderte Dicken. »Ich kann nicht.«
    »Hängen Sie immer noch an den Hirngespinsten von einer neuen Spezies?«, fragte Augustine wütend.
    »Das habe ich lange hinter mir«, sagte Dicken, erstaunt über die verdrossene Heiserkeit in seiner eigenen Stimme. Er klang wie ein Greis.
    Augustine ging um den Schreibtisch herum, zog eine Hängeregistratur heraus und entnahm ihr einen Umschlag. Alles an seiner Körperhaltung, die kleinkarierte, gehemmte Großspurigkeit in seinem Gang, die wie festzementierten Gesichtszüge weckten bei Dicken ein Gefühl des Grauens. So hatte er Mark Augustine noch nie erlebt: als jemanden, der den Gnadenstoß austeilen wollte.
    »Das ist für Sie gekommen, während Sie im Krankenhaus lagen.
    Es steckte in Ihrem Postfach. Es war an Sie in Ihrer amtlichen Funktion adressiert, und deshalb habe ich mir erlaubt, es zu öffnen.«
    Er gab Dicken die Papiere.
    »Es kommt aus Georgien. Leonid Sugashvili hat Ihnen doch Bilder von Exemplaren geschickt, die er als möglichen Homo superior bezeichnet, oder?«
    »Ich habe es nicht überprüft«, sagte Dicken, »und deshalb habe ich es Ihnen gegenüber nicht erwähnt.«
    »Sehr klug. Man hat ihn in Tiflis wegen Betrugs verhaftet. Weil er die Angehörigen von Menschen hintergangen hat, die seit den Vorfällen vermisst werden. Er hatte den trauernden Hinterbliebenen versprochen, er könne ihnen zeigen, wo ihre Verwandten bestattet seien. Sieht aus, als hätte er es auch bei den CDC versucht.«
    »Das wundert mich nicht, und es ändert auch nichts an meiner Meinung, Mark. Ich bin fix und fertig. Es fällt mir schwer genug, meinen eigenen Körper heilen zu lassen. Ich bin nicht der Richtige dafür.«
    »Na gut«, sagte Augustine. »Ich lasse Sie wegen der Behinderung frühpensionieren. Wir brauchen Ihr Büro an den CDC. Nächste Wochen kommen sechzig spezialisierte Epidemiologen, und dann beginnen wir mit der Phase zwei. Mit Räumen sind wir so knapp, dass wir anfangs wahrscheinlich drei davon in Ihr Büro setzen werden.«
    Schweigend sahen sie einander an.
    »Danke, dass Sie mich so lange mitgeschleppt haben«, sagte Dicken ohne jeden Anflug von Ironie.
    »Gern geschehen«, erwiderte Augustine ebenso neutral.
83
    Snohomish County
    Mitch stellte die letzte Kiste auf den Stapel neben der Haustür.
    Wendell Packer war am Morgen mit einem Lieferwagen gekommen. Er sah sich im Haus um, und seine Lippen bildeten eine schiefe, gebogene Linie. Sie hatten nur wenig mehr als zwei Monate hier gewohnt. Und ein Mal Weihnachten gefeiert.
    Kaye hatte das Telefon aus dem Schlafzimmer in der Hand. Das Kabel hing lose herunter. »Abgestellt«, sagte sie. »Die arbeiten schnell, wenn man einen Haushalt auflöst. Ja – wie lange waren wir eigentlich hier?«
    Mitch saß in dem abgeschabten Klubsessel, den er seit seiner Studentenzeit besaß. »Wir schaffen das schon«, sagte er. Seine Hände fühlten sich seltsam an – sie kamen ihm irgendwie größer vor. »Du lieber Himmel, was bin ich müde.«
    Kaye saß auf der Armlehne des Sessels und massierte ihm die Schultern. Er lehnte sich an ihren Arm und rieb seine stoppelige Wange an ihrer pfirsichfarbenen Strickjacke.
    »Mist«, sagte sie, »ich habe vergessen, die Batterien im Handy zu wechseln.« Sie küsste ihn auf den Kopf und eilte noch einmal ins Schlafzimmer. Mitch fiel auf, wie kraftvoll sie selbst im siebten Monat noch ging. Ihr Bauch wölbte sich deutlich, ohne riesig zu wirken. Er bedauerte, sich mit Schwangerschaften so wenig auszukennen. Dass er ausgerechnet in dieser Situation zum ersten Mal Vater wurde …
    »Beide

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