Das Darwin-Virus
Dazu nickte er viel sagend, als hätte er nun alles erklärt.
»Blödmann«, murmelte Mitch und drehte sich in dem adretten weißen Bett um.
6
Eliava-lnstitut, Tiflis
Lado, Tamara und Zamphyra standen mit sieben anderen Wissenschaftlern und Studenten um die beiden großen Tische am Südende des Labortraktes. Alle hoben die Cognacschwenker und tranken auf Kaye. Kerzen flackerten und spiegelten sich als goldene Funken in den bernsteinfarben gefüllten Gläsern. Das Festessen war erst zur Hälfte vorüber, und es war schon das achte Mal, dass Lado als tamada oder Zeremonienmeister des Abends einen Toast ausbrachte. »Auf unser Schätzchen Kaye«, sagte er, »die unsere Arbeit zu würdigen weiß … und versprochen hat, uns reich zu machen.«
Aus den Käfigen hinter dem Tisch sahen Kaninchen, Mäuse und Hühner mit schläfrigem Blick zu. Lange schwarze Labortische voller Glasgeräte und Reagenzglasgestelle, Brutschränke und Computer, die mit Sequenzierapparaten und Analyseautomaten verbunden waren, verloren sich im Dunkel des unbeleuchteten hinteren Laborteils.
»Auf Kaye«, fügte Tamara hinzu, »die von Sakartvelo, von Georgien mehr gesehen hat … als uns lieb sein kann. Auf eine tapfere, verständnisvolle Frau.«
»Seit wann bringst du hier die Trinksprüche aus?«, fragte Lado gereizt. »Warum erinnerst du uns an unangenehme Sachen?«
»Und warum redest du bei einer solchen Gelegenheit von Reichtum, von Geld ?«, blaffte Tamara zurück.
»Ich bin hier der tamada !«, brüllte Lado. Er stand jetzt neben dem Klapptisch aus Eichenholz und schwenkte sein Glas mit der schwappenden Flüssigkeit in Richtung der Studenten und Wissenschaftler. Keiner von ihnen durchbrach das matte Lächeln mit einem Wort des Widerspruchs.
»Schon gut«, lenkte Tamara ein. »Dein Wunsch ist uns Befehl.«
»Sie haben keinen Respekt!« beklagte sich Lado bei Tamara.
»Zerstört Wohlstand die Tradition?«
Die Labortische bildeten aus Kayes engem Blickwinkel ein schmales V. Alle Apparaturen hingen an einem Generator, der in dem Hof neben dem Gebäude leise brummte. Saul hatte zwei Sequenzierautomaten und einen Computer beigesteuert; der Generator stammte von Aventis, einem großen, internationalen Konzern.
Die städtische Stromversorgung war in Tiflis seit dem späten Nachmittag abgeschaltet. Das Abschiedsessen hatten sie auf Bunsenbrennern und in einem Gasofen gekocht.
»Mach weiter, Zeremonienmeister«, sagte Tamara mit sanfter Resignation. Sie winkte mit den Fingern in Lados Richtung.
»Das mache ich auch.« Lado stellte das Glas ab und strich sich den Anzug glatt. Sein dunkles, faltiges Gesicht, rot wie eine Rübe mit Gletscherbrand, leuchtete im Kerzenlicht wie Edelholz. Er erinnerte Kaye an einen Spielzeugtroll, den sie als Kind sehr geliebt hatte. Aus einer unter dem Tisch versteckten Schachtel brachte er ein kleines, kunstvoll geschliffenes und facettiertes Kristallglas zum Vorschein. Er nahm ein schönes, in Silber gefasstes Steinbockhorn und ging zu einer großen Amphore, die hinter der Ecke des Tisches in einer großen Holzkiste steckte. Die Amphore, die er kürzlich aus der Erde seines eigenen kleinen Weinberges bei Tiflis geborgen hatte, war mit einer ziemlich gewaltigen Weinmenge gefüllt. Er nahm eine Schöpfkelle voll aus der Öffnung und füllte den Inhalt langsam in das Horn, dann wieder und wieder, insgesamt sieben Mal, bis das Horn voll war. Dabei ließ er den Wein sanft kreisen, damit er atmen konnte. Rote Flüssigkeit spritzte über sein Handgelenk.
Schließlich füllte er das Glas aus dem Horn bis zum Rand und gab es Kaye. »Wenn du ein Mann wärst, würde ich dich auffordern, das ganze Horn zu leeren und dabei einen Trinkspruch auszubringen«, sagte er.
»Lado!« heulte Tamara und gab ihm einen Klaps auf den Arm.
Er ließ fast das Horn fallen und wandte sich ihr in gespielter Überraschung zu.
»Was ist denn?«, fragte er. »Gefällt dir das Glas nicht?«
Zamphyra erhob sich und drohte ihm mit erhobenem Finger.
Lado grinste noch breiter und verwandelte sich von einem Troll in einen karmesinroten Satyr. Langsam drehte er sich zu Kaye. »Was soll ich machen, liebste Kaye?«, sagte er geziert. Wieder tropfte Wein aus dem oberen Ende des Horns. »Sie verlangen, dass du alles austrinkst.«
Kaye hatte bereits ihr Quantum Alkohol genossen und traute ihrem eigenen Stehvermögen nicht mehr. Sie fühlte sich köstlich warm und geborgen, unter Freunden und umgeben von einer urtümlichen Dunkelheit voll
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