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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Abstammungslinien von Altwelt- und Neuweltaffen aufgespalten hatten. Alle Menschen trugen sie in sich, aber sie waren inzwischen mehr als nur genetischer Abfall oder aufgegebene Bruchstücke. Irgendetwas hatte die verstreuten HERV-Fragmente dazu angeregt, ihre Gene auszuprägen, die in ihnen codierten Proteine und RNA-Moleküle zusammenzufügen und Partikel zu bilden, die den Organismus verlassen und einen anderen infizieren konnten.
    Alle sieben abgestoßenen Feten zeigten schwere Fehlbildungen.
    Die Partikel verursachten eine Krankheit – vermutlich genau jene, der Dicken bereits seit drei Jahren auf der Spur war. In den CDC hatte sie schon einen hauseigenen Namen: Herodes-Grippe.
    Mit der Mischung aus Intelligenz und Glück, wie sie für die meisten großen Wissenschaftlerlaufbahnen typisch ist, hatte Lang genau die Lage jener Gene dingfest gemacht, die offensichtlich die Herodes-Grippe verursachten. Aber sie hatte keine Ahnung, was sie da gefunden hatte – das hatte er ihr in Tiflis an den Augen ablesen können.
    Darüber hinaus hatte ihn noch etwas anderes an Langs Arbeit gereizt. Zusammen mit ihrem Mann hatte sie Fachartikel über die Bedeutung transponierbarer genetischer Elemente für die Evolution geschrieben. Diese Elemente, auch springende Gene genannt –
    Transposons, Retrotransposons und sogar HERVs –, haben einen Einfluss darauf, wann, wo und wie oft Gene ausgeprägt werden.
    Sie verursachen Mutationen und verändern letztlich die äußere Gestalt eines Lebewesens.
    Solche transponierbaren Elemente, die Retrogene, sind höchstwahrscheinlich die Vorläufer der Viren; manche von ihnen sind mutiert und haben gelernt, wie man die Zelle verlässt: Man wickelt sich in schützende Kapseln und Hüllen, die genetische Entsprechung zu einem Raumanzug. Einige kehrten später wie verlorene Söhne als Retroviren zurück; und einige infizierten im Laufe der Jahrtausende auch Zellen der Keimbahn – Ei- oder Samenzellen und ihre Vorläufer –, wobei sie irgendwie die Gefährlichkeit verloren. Sie wurden zu HERVs.
    Auf seinen Reisen in die Ukraine hatte Dicken aus zuverlässiger Quelle von Frauen erfahren, die Kinder mit mehr oder weniger geringfügigen Besonderheiten zur Welt gebracht hatten, von Kindern, die unbefleckt empfangen worden waren, von ganzen Dörfern, deren Bewohner man getötet oder sterilisiert hatte … stets nach einer Epidemie von Fehlgeburten.
    Alles nur Gerüchte, aber Dicken erschienen sie aufschlussreich und sogar plausibel. Bei seiner Suche verließ er sich auf seinen gut ausgebildeten Instinkt. Die Geschichten ließen in ihm etwas anklingen, über das er schon seit über einem Jahr nachdachte.
    Vielleicht hatte es eine Verschwörung der Mutagene gegeben.
    Vielleicht hatte Tschernobyl oder eine andere Strahlenkatastrophe in der Sowjetzeit die Freisetzung der endogenen Retroviren ausgelöst, die jetzt die Herodes-Grippe verursachten. Aber über diese Theorie hatte er bisher noch mit niemandem gesprochen.

    Im Midtown-Tunnel wurde er von einem großen, mit glücklich tanzenden Kühen verzierten Lieferwagen geschnitten und fast gestreift. Er trat scharf auf die Bremse. Das Quietschen der Reifen und die Tatsache, dass er an einem Unfall nur knapp vorbeigeschrammt war, ließen ihm den Schweiß auf die Stirn treten und seinen ganzen Frust und Zorn zum Ausbruch kommen. »Idiot!«, schrie er dem unsichtbaren Fahrer nach. »Das nächste Mal habe ich Ebola an Bord!«
    Ihm war absolut nicht nach Milde. Die CDC würden vielleicht schon in wenigen Wochen an die Öffentlichkeit gehen müssen.
    Wenn die Tabellen stimmten, würde es bis dahin allein in den Vereinigten Staaten schon über fünftausend Fälle der Herodes-Grippe geben.
    Und Christopher Dicken würde man wohl kaum mehr zugute halten als die Arbeit eines guten Fußsoldaten.
8
    Long Island, New York
    Das grünweiße Haus – mittelgroß, aber stattlich, Kolonialstil der Vierzigerjahre – stand oben auf einem kleinen Hügel, umgeben von alten Eichen und Pappeln sowie den Rhododendronbüschen, die sie vor drei Jahren gepflanzt hatte.
    Kaye hatte vom Flughafen aus angerufen und eine Nachricht von Saul abgehört. Er war im Labor eines Kunden in Philadelphia und würde im Laufe des Abends zurückkommen. Jetzt war es sieben, und über Long Island lag prächtiges Zwielicht. Flauschige Wolken lösten sich von einer verschwimmenden Masse aus Unheil verkündendem Grau. Die Stare machten in den Eichen Lärm wie eine Horde Kinder in einem

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