Das Darwin-Virus
gesagt: Ich könnte ihn vor Gericht herauspauken. Genetisch sieht es sehr seltsam aus. Richtig unheimlich, wie ich es noch nie erlebt habe.«
»Aber das Baby ist ein Mensch wie wir!«
»Mitch, bitte versteh’ mich nicht falsch. Ich werde dir nicht den Rücken stärken, und ich werde dir nicht helfen, irgendwelche Artikel zu schreiben. Ich habe ein Institut und meine eigene Karriere, die ich schützen muss. Von allen müsstest du das am besten verstehen.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Mitch. »Aber allein schaffe ich es nicht.«
»Ich will dir ein paar Tipps geben. Du weißt, dass die Menschen, genetisch betrachtet, bemerkenswert einheitlich sind.«
»Ja.«
»Nun ja, ich glaube, beim Homo sapiens neanderthalensis war die Einheitlichkeit nicht ganz so groß. Dass ich das sagen kann, ist ein echtes Wunder, Mitch, ich hoffe, das verstehst du. Vor drei Jahren hätten wir für die Analyse noch acht Monate gebraucht.«
Mitch runzelte die Stirn. »Ich kann dir nicht folgen.«
»Der Genotyp des Säuglings stimmt fast mit deinem und meinem überein. Das Mädchen war nahezu ein Jetztmensch. Die MitochondrienDNA in dem Gewebe, das du mir gegeben hast, stimmt mit anderen Proben aus Neandertalerknochen überein.
Aber wenn du mich nicht so skeptisch ansehen würdest, würde ich sagen: Der Mann und die Frau, von denen deine Proben stammen, sind ihre Eltern.«
Mitch wurde schwindelig. Er beugte sich auf dem Stuhl nach vorn und legte den Kopf zwischen die Knie. »Du lieber Gott«, sagte er mit erstickter Stimme.
»Eine sehr späte Anwärterin auf die Rolle der Eva«, sagte Packer.
Er hielt eine Hand hoch. »Sieh mich an. Jetzt bin ich der, der zittert.«
»Was kannst du überhaupt tun, Wendell?«, fragte Mitch, wobei er den Kopf hob und den Freund ansah. »Ich sitze hier auf der tollsten Geschichte in der modernen Naturwissenschaft. In Innsbruck werden sie mauern, das rieche ich jetzt schon. Sie werden alles abstreiten. Das ist der einfache Ausweg. Aber was soll ich tun?
Zu wem soll ich gehen?«
Packer rieb sich die Augen und schnäuzte sich in ein Taschentuch. »Du musst jemanden finden, der nicht so vorsichtig ist. Außerhalb der Universitäten. Ich kenne ein paar Leute bei den CDC.
Beispielsweise unterhalte ich mich öfter mit einem Freund in den Instituten in Atlanta – eigentlich ist es der Freund einer früheren Freundin, aber wir haben immer noch ein gutes Verhältnis. Sie hat ein paar Mal Leichengewebe analysiert, und zwar für einen Virusforscher namens Dicken von der HerodesTaskforce der CDC.
Wie nicht anders zu erwarten, hat er bei Leichen nach SHEVA gesucht.«
»Leichen aus Georgien?«
Packer begriff nicht sofort. »Du meinst Georgia, wo Atlanta liegt?«
»Nein, Republik Georgien.«
»Äh … ja, stimmt. Aber er hat auch in historischen Aufzeichnungen nach Anhaltspunkten für die Herodes-Grippe gesucht. In früheren Jahrzehnten, sogar Jahrhunderten.« Packer tippte Mitch viel sagend auf die Hand. »Vielleicht wüsste er gerne, was du weißt?«
33
Magnuson Clinical Center, National Institutes of Health,
Bethesda
In dem hell erleuchteten Zimmer saßen vier Frauen. Die Ausstattung des Raumes bestand aus zwei Sofas, zwei Sesseln, einem Fernseher mit Videorecorder, Büchern und Zeitschriften. Kaye fragte sich, wie Krankenhausarchitekten es immer wieder schafften, eine so sterile Atmosphäre zu verbreiten: Holz in der Farbe von Asche, Wände in kühlem, gebrochenem Weiß, gesundheitsfördernde Pastellbilder von Stränden, Wäldern und Blumen. Eine bleiche, beruhigende Welt.
Für kurze Zeit beobachtete sie die Frauen durch die Glasscheibe des Seiteneingangs, während sie darauf wartete, dass Dicken und die Leiterin des klinischen Forschungsprojektes zu ihr aufschlossen.
Zwei schwarze Frauen. Die eine, Ende dreißig und stämmig, saß aufrecht in einem Sessel und blickte, ein Heft von Elle auf dem Schoß, desinteressiert auf den Fernseher. Die andere war höchstens Anfang zwanzig und sehr schlank, mit kleinen, spitzen Brüsten und kurzer Zöpfchenfrisur. Sie saß, die Wange auf eine Hand gelegt und den Ellenbogen auf der Armlehne, in einem der Sofas.
Und zwei weiße Frauen, beide in den Dreißigern, die eine strohblond, abgehärmt und mit benommenem Blick, die andere gut gekleidet und mit ausdrucksloser Miene. Sie lasen in abgeschabten Exemplaren von People und Time.
Dicken näherte sich zusammen mit Dr. Denise Lipton durch den mit grauem Teppichboden ausgelegten Korridor. Lipton war Anfang vierzig,
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